Die Stunde des Raben
Verwandten nur die beste Seite zu zeigen. Wenn Sie nicht da sind, ist er immer einer der Ersten! Ich bin übrigens Filine Breulhahn, Rufus’ Studienkollegin. Das hier sind meine Eltern, und dies sind unser gemeinsamer Mitschüler Norbert Brunnemann und seine Frau Großmutter. Entschuldigen Sie bitte auch, dass Rufus nicht an der Tür war und Sie erwartet hat. Aber wir müssen heute zusammenbleiben, weil wir einen wichtigen Anruf aus Hongkong erwarten. Das sind unsere Hausaufgaben an diesem Wochenende. Wir müssen nämlich eine Geschäftsanbahnung für ein Termingeschäft üben, auf Englisch, und das machen wir mit einer chinesischen Partnerschule.«
»Oh!« Rufus’ Mutter lächelte jetzt erfreut. »Das klingt großartig.«
»Das ist es«, erwiderte Filine. Sie wirkte durch und durch wie ein wohlerzogenes, reiches und etwas überhebliches Mädchen. »Meine Eltern wollten sich jetzt etwas in der Schule umsehen, und wir drei wollten über den Flohmarkt schlendern. Begleiten Sie uns?«
»Flohmarkt?«, fragte Rufus’ Mutter.
»Ja, das ist hier Tradition. So wie das jährliche Bootsrennen zwischen Oxford und Cambridge. Es ist ein Markt der guten Taten, typisch für die Akademie. An solchen Institutionen steckt ja immer alles voller alter Bräuche. Der Gewinn fließt diesmal in die Restaurierung der Goldkuppel auf dem Dach.«
Rufus’ Mutter nickte verständnisvoll. Dann streckte sie die Hand aus und begrüßte nacheinander Filines Eltern und Nos Großmutter. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich nehme an, Sie sind zufrieden mit dieser Einrichtung?«
Inmitten der normalen Freundlichkeit der übrigen Erwachsenen schaffte es Rufus, den Schreck, der ihm in die Glieder gefahren war, etwas zurückzudrängen.
Filine sah ihn an. Offenbar merkte sie genau, wie sehr das Wiedersehen mit seiner Mutter ihn verstörte, denn sie wirkte jetzt ganz und gar wie die 95. Nachfahrin der Anchetcheprure bei einer diplomatischen Mission mit einer fremden Macht.
Als alle sich vorgestellt hatten, machten sich Filines Eltern auf den Weg, die Akademie zu besichtigen, während Filine, Rufus und No zusammen mit Rufus’ Mutter in Richtung Flutmarkt strebten. Lediglich Nos Großmutter streichelte kurz Nos Hand und blieb dann auf ihrem Stuhl sitzen, um dort auf die Rede des Direktors zu warten. Eine halbe Minute später war sie schon wieder eingeschlafen.
Immer noch munter schwatzend ging Filine mit Rufus’ Mutter voraus. Rufus trottete hinterher. In diesem Moment spürte er, dass sich eine Hand auf seine Schulter legte.
»Jetzt verstehe ich dich«, flüsterte No. »Ich meine, warum du in die Vergangenheit willst, um was zu machen! Mann, Rufus, du hast hammerrecht! Und verlass dich drauf, ich bin dabei, wenn ich dir helfen kann!«
Rufus spürte, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen.
Obwohl er sich schon ein wenig beruhigt hatte, blieb der Gang über den Flutmarkt für Rufus ein Spießrutenlaufen. Dinge, die er vorhin noch an den Ständen bewundert hatte, kamen ihm plötzlich vor wie ein Haufen Müll. Und die ehrwürdigen Flutmarkthändler sahen auf einmal allesamt aus wie billige Vogelscheuchen. Außerdem wusste er überhaupt nicht, was er mit seiner Mutter reden sollte, und alle Fragen, die sie an ihn richtete, drehten sich immer nur um die Fächer, seine Noten und ob er auch in allem mitkäme. Von sich selbst erzählte seine Mutter überhaupt nichts. Und Rufus traute sich nicht zu fragen. Dann tauchte auch noch Coralia auf.
Sie trug ein pompöses Kleid, das am Kragen und an den Ärmeln überreich mit Gold bestickt war.
»Ah, die Frischlinge!«, rief sie und steuerte ohne Umschweife auf sie zu. »Rufus, wie schön, dass du gekommen bist! Ich hatte schon befürchtet, du versinkst mit deinen Freunden in eurer Arbeit. Aber Bent hat dir ja bestimmt ausgerichtet, dass ich es großartig fände, wenn du es schaffst. Guten Tag!« Sie streckte Rufus’ Mutter die Hand hin. »Sie müssen Rufus’ Mutter sein! Ich bin Coralia Malenhagen. Rufus und ich belegen einige Kurse zusammen.«
»Guten Tag, Fräulein Malenhagen!«, erwiderte Rufus’ Mutter und ergriff die dargebotene Hand. »Ja, Rufus ist mein Sohn. Andrea Minkenbold.« Dabei sah sie verwundert das goldbestickte Kleid an.
»Nennen Sie mich doch bitte Coralia, Frau Minkenbold! Rufus und ich sind Freunde.« Coralia lächelte höflich. »Gefällt es Ihnen an unserer Schule?«
»Ganz ausgezeichnet«, antwortete Rufus’ Mutter schnell. »Rufus geht es sehr gut. Und dieser
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