Die Stunde des Schakals (German Edition)
angehört hatte, die mutmaßlicherweise Anton Lubowski auf dem Gewissen hatte. Marees Spitzname war ‹Chappies› gewesen, nach einer in Südafrika damals populären Kaugummisorte, ohne die er anscheinend nicht ausgekommen war.
Mehr noch als der Reisepass erwies sich das Flugticket als Glücksfund. Maree war vorletzte Nacht mit dem Air-Namibia-Flug SW 286 in Frankfurt gestartet und musste gestern gegen 9 Uhr vormittags die Passkontrolle am Hosea-Kutako-Flughafen passiert haben. Die Heja-Lodge, auf deren Gelände die Leiche gefunden worden war, befand sich auf halber Strecke zwischen Flughafen und Stadt, und zwar kurz vor dem Roadblock, an dem die nach Windhoek fahrenden Autos kontrolliert wurden. Dies und die Tatsache, dass sich das Fluggepäck im ausgebrannten Corolla befand, sprachen dafür, dass der Täter sein Opfer am Flughafen abgeholt hatte und direkt zum Tatort gefahren war. Wenn aber Chappies Maree an einem belebten Ort wie dem Internationalen Flughafen zu jemandem ins Auto gestiegen war, bedeutete das doch, dass er keinen Verdacht gehegt und diesen Jemand wahrscheinlich sogar gekannt hatte.
Die Kameraüberwachung am Hosea-Kutako-Flughafen genügte internationalen Standards. Nach Aussagen des Managements funktionierte sie auch einwandfrei, nur waren leider die Bänder vom vorigen Tag schon gelöscht worden. Die Befragung der Sicherheitsleute ergab ebenfalls nichts. Wahrscheinlich hatten die nur Augen für die europäischen Touristinnen gehabt, die sich ihrer Winterpullover entledigten. Jedenfalls konnte sich niemand an Maree erinnern, geschweige denn an jemanden, der ihn in Empfang genommen hätte. Immerhin wurde Clemencia darauf hingewiesen, dass auf dem bei der Einreise auszufüllenden Formular der Zweck des Besuchs in Namibia angegeben werden musste. Das konnte interessant sein. Nach etwa einer Stunde fanden die Immigrationsbeamten den Zettel, aber Maree war phantasielos genug gewesen, die Rubrik Tourismus anzukreuzen. Nur zufällig fiel Clemencias Blick auf die Zieladresse, die im Einreiseformular ebenfalls genannt werden musste. Die kannte sie doch! Genau dort war sie vorgestern gewesen. Und genau dorthin würde sie jetzt wieder fahren.
Unterwegs wurde sie von der Gerichtsmedizin angerufen. Die Leiche war diesmal nicht verloren gegangen, sondern sogar schon obduziert worden. Chappies Maree war bereits tot gewesen, als das Auto in Brand gesetzt wurde. Erschossen, fünf Kugeln im Brustbereich. Die Projektile mussten noch untersucht werden, waren aber zumindest vom gleichen Kaliber wie bei van Zyl.
Natürlich stammten sie aus der gleichen Waffe. Clemencia überschlug die zeitlichen Abläufe. Der Flug von Frankfurt nach Windhoek hatte zehn Stunden gedauert. Als van Zyl erschossen wurde, hatte Maree sicher bereits eingecheckt, hatte vielleicht sogar schon im Flugzeug gesessen. Sein Handy war ausgeschaltet. Der Killer hatte sichergehen wollen, dass niemand sein zweites Opfer warnen konnte.
Clemencia fuhr die letzten Meter durch Ludwigsdorf und stellte den Wagen vor der Einfahrt des Hauses ab. Mevrou van Zyl empfing sie mit derselben Begeisterung, mit der man nachts einen Moskito um die Ohren sirren hört. Dass sie nicht daran gedacht hatte, irgendwen zu warnen, glaubte ihr Clemencia sogar. Der Mann tot, die Tochter kurz vor dem Durchdrehen, sie hatte anderes im Kopf gehabt. Clemencia fragte nach Chappies Maree. Der sei ein alter Kumpel ihres Mannes gewesen und habe sich für einen Kurzbesuch angesagt.
«Um Erinnerungen an die alten Zeiten beim Civil Cooperation Bureau aufzufrischen?», fragte Clemencia.
Frau van Zyl gab nun zu, was nicht mehr zu leugnen war. Ja, Maree habe beim CCB Dienst geleistet und ihr verstorbener Mann ebenso. Wegen der Lubowski-Sache habe allerdings keiner von ihnen je vor Gericht gestanden, und deswegen hätten beide als unschuldig zu gelten. Mit Details könne sie nicht weiterhelfen, sie habe ihren Mann nie über Geschäftliches ausgefragt.
«Geschäftliches?», fragte Clemencia.
Ein Mörder sei ihr Mann keinesfalls gewesen, fuhr Frau van Zyl unbeirrt fort. Er habe in den achtziger Jahren im Auftrag seiner Regierung sein Land verteidigt, und das sei nicht nur durch Terroristen im Inneren bedroht worden. In Angola hätten sich die Kubaner Fidel Castros festgesetzt gehabt, auch in Mosambik seien die Kommunisten an der Macht gewesen, und praktisch die gesamten Nachbarn bis hinauf zum Äquator hätten sich als Frontstaaten gegen die Republik Südafrika verstanden. Es habe Krieg
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