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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Geräusche.
    Sie beobachtete wieder einmal den Flug der Vögel, während ihre Gedanken wie so oft nach Brügge wanderten. Es war nur eine Wegstunde entfernt, aber es hätte ebenso gut auf einem anderen Stern liegen können. Abraham ging mit seinen Informationen aus der Stadt sehr sparsam um. Dabei wollte Aimée so vieles wissen.
    Was tat Colard? Wie reagierte Gleitje auf ihr Verschwinden? Verfolgte man den Schützen, der sie niedergestreckt hatte? Wie liefen die Geschäfte des Hauses Cornelis? Gab es endlich Beweise für Anselm Kortes heimtückische Anschläge? Würde Abraham heute kommen und ihr endlich ausführlicher berichten?
    Als hätten ihre Gedanken es bewirkt, öffnete sich die Tür in ihrem Rücken. Hastig fuhr sie herum. Es war nicht Abraham. Es war – Contarini, der den Kopf einziehen musste, um nicht am Türstock anzustoßen.
    Aimée konnte ihn nur völlig überrascht anblicken. Sie hatte ihn herbeigesehnt und sich gleichzeitig dafür gerügt. Ihn so unerwartet vor sich zu sehen, raubte ihr die Sprache.
    »Gott zum Gruße, Frau Cornelis. Ihr seid schon wieder auf den Beinen? Ich kam eigentlich, einen Krankenbesuch zu machen.«
    Wie angewurzelt blieb Aimée am Fenster stehen.
    »Bin ich Euch denn keinen Gruß mehr wert, Aimée?«, hörte sie ihn mit einem höchst seltsamen Unterton fragen.
    »Verzeiht.« Sie musste sich räuspern, um halbwegs normal zu klingen. »Ich war auf Euch nicht vorbereitet. Ich hatte mit Herrn Abraham gerechnet. Seid auch Ihr mir gegrüßt, Messer Contarini. Seit wann seid Ihr wieder in Brügge?«
    »Seit gestern.«
    »Abraham ben Salomon ist sicher glücklich, dass Ihr ihm wieder zur Seite steht.«
    »Es sieht so aus«, antwortete er auf seine vertraut spöttische Weise, ehe er ernster fortfuhr: »Und wie steht es um Euch? Eure Wunde verheilt, vernehme ich vom Doktor, aber was macht Eure Gemütsverfassung? So ein Ereignis ist schwer zu verkraften.«
    Aimée senkte den Blick auf seine Stiefel. Sie fürchtete etwas Falsches zu sagen, wenn sie ihm dabei in die Augen sehen musste. Es wäre zu gefährlich gewesen, ihm zu verraten, was ihr auf der Seele lag. Sie flüchtete sich in eine alltägliche Antwort.
    »Überzeugt Euch selbst, es geht mir gut. Ihr müsst Euch keine Sorgen um mich machen. Im Grunde besteht auch kein Anlass, mich weiterhin in Damme festzuhalten. Ich wäre Euch dankbar, wenn Ihr Abraham ben Salomon davon überzeugen könntet. Wenn ich noch länger hierbleibe, werde ich vor Einsamkeit und Langeweile krank.«
    Aimée machte in ihrem Ungestüm einen gedankenlosen Schritt auf ihn zu und bereute es augenblicklich. Allein der Geruch, der von ihm ausging, betäubte sie. Er roch nach Pferd und jener unverwechselbaren Gewürzmischung von Sandelholz, Vanille und anderen Aromen, die sie an ihm kannte. Der Ansturm all dieser Sinnesreize raubte ihr fast den Verstand. Sie nahm wahr, dass er Kinn und Wangen frisch vom Bartwuchs befreit hatte.
    »Abraham ben Salomon hat auf meine Weisung dafür gesorgt, dass Ihr Euch schont.«
    »Ich will mich nicht mehr länger davon abhalten lassen, meine Arbeit zu tun. Auch bitte von Euch nicht.«
    »Aimée. Bellissima.«
    Jede Fähigkeit, ihre Gedanken zu ordnen, erstarb beim Ton seiner Stimme. Nur der leidenschaftliche Wunsch, von ihm geküsst zu werden wie beim Abschied vor ihrem Haus, beherrschte sie.
    »Sprecht bitte nicht so mit mir«, bat sie heiser. »Was wollt Ihr von mir?«
    »Eine gemeinsame Zukunft.«
    Er sagte es, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt.
    »Die habt Ihr doch bereits«, erwiderte sie. »Und wenn Ihr mich in die Manufaktur gehen lasst, dann wird sie auch erfolgreich sein.«
    »Vergesst die Manufaktur, bis wir den Mann gefasst haben, der auf Euch geschossen hat. Es wäre viel zu gefährlich, wenn Ihr Euch dort sehen lasst.«
    Contarini griff nach ihren Händen, und Aimée spürte die bezwingende Wärme seiner Berührung.
    »Die Sorge um Euch lässt mir keine ruhige Stunde«, sagte er voller Eindringlichkeit. »Ich will Euch in Sicherheit wissen.«
    »Warum?«
    »Könnt Ihr die Wahrheit ertragen?«
    Contarini errötete. Zum ersten Mal erlebte sie ihn verlegen.
    »Weil Ihr mein Leben seid. Weil ich Euch von unserer ersten Begegnung an in meinen Gedanken begleite. Weil mein Sinnen und Trachten ohne Euch ziellos wäre. Ich habe meinen eigenen Gefühlen misstraut und habe Abstand zu Euch gehalten, mich verschanzt hinter dem Eheversprechen an meine Familie. Und als ich bereit war, Euch das alles zu gestehen,

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