Die Stunde des Venezianers
nicht dabei helfen.«
»Ob Gleitje wohl damit einverstanden ist?«
»Die Ereignisse werden auch sie geläutert haben. Das hoffe ich zumindest für deinen Vetter.«
Aimée hob den Kopf und begegnete seinem lachenden Blick. Wie gebannt verharrte sie mitten in der Bewegung. So unbeschwert lachend hatte sie ihn noch nie gesehen.
Eine Vase mit Sommerblumen stand in der Nische neben der heiligen Anna. Aimée registrierte dankbar, dass keine Rosen darunter waren. Dass sie nach allem, was sie erlebt hatte, diesen Raum wieder in ihren Besitz nehmen konnte, kam ihr wie ein Wunder vor. Sie lauschte auf die Geräusche des Hauses.
Ihre Rückkehr und Domenicos Einzug in Rubens alte Gemächer waren ohne jedes Aufsehen erfolgt. Die Bürger von Brügge waren noch ganz mit den unglaublichen Geschehnissen um den Tod Anselm Kortes beschäftigt. Wie lange würde es wohl dauern, bis die Neuigkeit von ihrer Eheschließung bekannt wurde und die Gemüter erhitzte? Aimée hatte einem Ausländer mit ihrer Ehe das Bürgerrecht von Brügge verschafft. Nicht allen würde das gefallen. Den Stadtoberen lag daran, die Zahl der einflussreichen Bürger klein zu halten, die nicht in Brügge geboren waren. Man wollte unter sich bleiben. Aber auch der Herzog würde versöhnt werden müssen.
Die Tatsache, dass sie ohne seine Einwilligung geheiratet hatte, brachte sie vermutlich kurzzeitig in Ungnade. Aber die Lieferung der Kleidungsstücke für seine Truppen und die eine oder andere seltene Handschrift würden die Wogen seines Unmuts bestimmt schnell glätten. Auch würde die Herzogin wie gewohnt auf ihrer Seite sein. Ihre Freundschaft hatte inzwischen so viele Stürme überstanden, sie würde auch diese Irritation überstehen.
Sie spürte Domenicos Anwesenheit, ohne dass sie zuvor die Türe gehört hätte. Er respektierte ihre Versunkenheit. Langsam wandte sie sich um.
Er trug, wie sie, einen locker gegürteten Hausmantel. Es war ihre Hochzeitsnacht. Unwillkürlich drängte sich ihr die Erinnerung an ihre erste Hochzeitsnacht auf. Welch ein Glück, dass ihr heute die peinliche Zeremonie erspart blieb, mit der Vermählte üblicherweise zum Brautbett geleitet wurden.
»Du wirst dich gefragt haben, warum du noch keinen Brautpreis von mir erhalten hast«, sagte Domenico, als sich ihre Augen trafen und er näher trat.
Aimée wehrte ab.
»Ich brauche keinen Brautpreis. Ruben hat mich in Gent mit den Juwelen des Herzogs überschüttet. Es hat mir nur Unglück gebracht. Du bist mein Brautpreis.«
»Dann willst du meine Juwelen nicht?«
Aimée glaubte ein verstecktes Lachen im Tonfall seiner Frage entdeckt zu haben. Sie kannte Domenico mittlerweile gut genug, um zu stutzen.
»Welche Juwelen?«, fragte sie vorsichtig.
»Diese hier.«
Er versenkte die Hand in eine Tasche seines Mantels, und als er sie wieder zum Vorschein brachte, brachen sich die Flammen der Kerzen in den geschliffenen Steinen. Ein Regenbogen aus Sternen flirrte über Wände und Möbel. Aimée starrte fassungslos auf das Halsband. Sie kannte es. Violante von Andrieu hatte es in ihrem morgendlichen Traum getragen.
»Die Sterne von Andrieu. Das ist unmöglich. Großmutter hat dieses Collier verkauft. Waren es nicht genau die Steine, die du unter Einsatz deines Lebens nach Venedig gebracht hast?«
Domenico nickte.
»Ich habe sie Stück für Stück zurückgekauft. Der Goldschmied, der in Paris die Steine für den König herausbrach, hatte zuvor eine Zeichnung des Schmuckes angefertigt. Er hielt es für ein Verbrechen, ein solches Kunstwerk zu zerstören. Er war begeistert davon, es wiederherstellen zu dürfen.«
Aimée spürte das Gewicht des Geschmeides, als ihr Domenico das Halsband umlegte und sorgsam ihre Haare dabei hob.
»Was hat dich dazu getrieben, den Familienschmuck der Andrieus zu retten?«
»Das fragst du? Ich habe immer auf diese Stunde gehofft. Das hat mich über all die Jahre mit dir verbunden, auch wenn manchmal das halbe Abendland zwischen uns lag.«
»Du musst ein Vermögen verschwendet haben, um diese Steine wieder in deinen Besitz zu bringen.«
»Ich habe mein Erbe dafür eingetauscht. Ein Haus in Venedig, das ich nie wieder bewohnen will, und Güter auf dem Festland, deren Äcker ich nicht bebauen kann.«
Aimée begriff.
»Du hast alles in Venedig für dieses Halsband aufgegeben?«
»Was soll ich in Venedig, wenn mein Herz in Brügge schlägt?«
Aimée berührte die kühlen Steine mit den Fingerspitzen und suchte seinen Blick. Der materielle Wert des
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