Die Sturmfluten des Frühlings
Coolidge zufrieden.» Seine Gedanken schweiften umher. Er wußte, was es war. Ihm war schwach vor Hunger. Diese nordische Luft war zu schneidend und zu scharf für ihn.
«Hören Sie bitte», sagte er. «Könnten Sie mir vielleicht gerade ein paar von den Bohnen geben? Ich will ganz gewiß nichts überstürzen. Ich weiß: Gut Ding muß Weile haben.»
Das Schiebefenster ging hoch, und es erschienen ein großer Teller und ein kleiner Teller, beide mit dampfenden Bohnen.
«Da sind sie», sagte die Kellnerin.
Scripps fiel über den großen Teller mit Bohnen her. Es war auch ein bißchen Schweinefleisch dabei. Der Vogel fraß vergnügt; er hob den Kopf nach jedem Schnabelvoll, um die Bohnen herunterrutschen zu lassen.
«Das tut er, um Gott für die Bohnen zu danken», erklärte die ältliche Kellnerin.
«Sind auch herrliche Bohnen», stimmte Scripps zu. Unter dem Einfluß der Bohnen wurde sein Kopf wieder klar. Was hatte er da nur für Quatsch über Henry Mencken geredet? War Mencken wirklich hinter ihm her? Es war keine angenehme Aussicht, dem die Stirn zu bieten. Er hatte 450 Dollar in der Tasche. Wenn die weg waren, konnte er jederzeit mit allem ein Ende machen. Wenn sie ihm zu sehr zusetzten, konnten sie eine mächtige Überraschung erleben. Er war nicht der Mann, den man lebendig kriegte. Das sollten sie nur mal versuchen.
Nachdem er seine Bohnen gegessen hatte, war der Vogel eingeschlafen. Er schlief auf einem Bein, das andere Bein hatte er unter die Federn gesteckt.
«Wenn er müde wird, auf dem einen Bein zu schlafen, wird er die Beine wechseln und ausruhen», bemerkte die Kellnerin. «Zu Hause hatten wir einen alten Seeadler, der machte es so.»
«Wo sind Sie zu Hause?» fragte Scripps.
«In England. Im Lake District.» Die Kellnerin lächelte ein bißchen wehmütig. «Sie wissen, Wordsworths Heimat.»
Tja, diese Engländer. Die reisten über die ganze Erdoberfläche. Es genügte ihnen nicht, auf ihrer kleinen Insel zu bleiben. Seltsame Nordländer, besessen von dem Traum eines Weltreichs.
«Ich bin nicht immer Kellnerin gewesen», bemerkte die ältliche Kellnerin.
«Davon bin ich überzeugt.»
«Weiß Gott», fuhr die ältliche Kellnerin fort, «es ist eine ziemlich merkwürdige Geschichte. Vielleicht würde sie Sie aber langweilen?»
«Bestimmt nicht», sagte Scripps. «Sie würden wohl nichts dagegen haben, falls ich die Geschichte später einmal benutzte?»
«Sicher nicht, wenn Sie sie interessant genug finden», lächelte die Kellnerin. «Aber Sie würden natürlich meinen Namen nicht nennen, nicht wahr?»
«Nicht, wenn Sie es nicht wünschen», sagte Scripps. «Übrigens, könnte ich wohl noch eine Portion Bohnen haben?»
«Erprobt und gelobt», lächelte die Kellnerin. Ihr Gesicht war runzlig und grau. Sie sieht ein bißchen wie eine Schauspielerin aus, die neulich in Pittsburgh gestorben ist. Wie hieß sie noch? Lenore Ulric. In Peter Pan. Ach ja, natürlich. Man erzählt von ihr, daß sie immer verschleiert umhergegangen ist, dachte Scripps. Das war eine interessante Frau hier. Ob sie wohl Lenore Ulric war? Vielleicht nicht. Es war egal.
«Wollen Sie wirklich noch mehr Bohnen?» fragte die Kellnerin.
«Ja», antwortete Scripps schlicht.
«Noch einmal Knallbohnen!» rief die Kellnerin durch das Schiebefenster. «Nichts mehr für den Vogel.»
«Aufm Feuer», kam die Antwort.
«Bitte fahren Sie doch mit Ihrer Geschichte fort», sagte Scripps freundlich.
«Es war im Jahr der Pariser Weltausstellung», fing sie an. «Damals war ich ein ganz junges Mädchen, une jeune fille, und ich war mit meiner Mutter aus England herübergekommen. Wir wollten der Eröffnung der Ausstellung beiwohnen. Auf unserem Weg von der Gare du Nord zum Hotel an der Place Vendome, wo wir wohnten, hielten wir bei einem Friseurgeschäft an und machten ein paar unbedeutende Einkäufe. Meine Mutter – ich erinnere mich noch – kaufte eine zweite Flasche ‹Riechsalz›, wie man hier in Amerika sagt.»
Sie lächelte.
«Fahren Sie doch fort. Riechsalz», sagte Scripps.
«Wir schrieben uns, wie es üblich ist, im Hotel ein und bekamen zwei nebeneinander liegende Zimmer, die man für uns reserviert hatte. Meine Mutter fühlte sich von der Reise ein bißchen mitgenommen, und wir aßen auf dem Zimmer. Ich freute mich schon schrecklich auf die Ausstellung am nächsten Tag. Aber ich war müde von der Reise – wir hatten eine ziemlich schlimme Überfahrt gehabt –, und ich schlief fest. Am Morgen wachte ich auf und rief
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