Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Suche nach dem Regenbogen

Titel: Die Suche nach dem Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
einfach, dann kehrt auch meine frühere Geschicklichkeit zurück, dachte ich. Doch das dunkle Wesen drang auf mich ein, und ich begann zu weinen, obschon ich noch immer beharrlich meine Malutensilien zusammensuchte.
    Als ich jedoch die große Zeichnung zum Kopieren auf dem Tisch ausbreitete, spürte ich einen ganz eigentümlichen Luftzug in meinem Rücken, es war, als beugte sich jemand Interessiertes über meine Schulter und sähe mir bei der Arbeit zu. Jemand Freundliches in meinem Kopf sagte unmittelbar hinter meinem Ohr: »Natürlich kannst du das, Susanna«, und mir wurde ganz warm ums Herz. Jäh wandte ich den Kopf und erhaschte mit halbem Auge etwas Aufblitzendes, Glänzendes und vollkommen Durchscheinendes, das ich nur als, sagen wir, etwas sonderbar Fedriges beschreiben kann. Das Licht im Zimmer wirkte hell und satt, und alles Schwere fiel von mir ab. Eine stille Freude ergriff von mir Besitz, wo trübes, schweres Blut hätte sein sollen. Nun gut, dachte ich, jetzt habe ich nicht nur rasende Kopfschmerzen, ich halluziniere auch schon. Mag sein, daß Nan recht hat und alles davon kommt, daß ich den Kopf in den Regen gesteckt habe, obwohl sie es mir verboten hatte.
    Doch merkwürdigerweise schien sich das Kopfweh, kaum daß ich darüber nachdachte, zu verflüchtigen, und jemand Starkes sorgte dafür, daß ich mich wieder wohl fühlte. Die Kanten des Pergaments waren nicht länger verschwommen. Eine seltsame Wärme durchströmte mich, und ich begann zu schwitzen. Oh, dachte ich, bloß nicht auf das Pergament, und so wischte ich mir die rasch rinnenden Tropfen mit dem Ärmel von der Stirn. Meine Finger schienen locker zu werden, und fast kam es mir vor, als spürte ich den Schatten meines früheren Ichs in der Nähe, ja beinahe in Reichweite. Mit der Kühnheit des Schwimmers, der sich in einen ihm nicht vertrauten Fluß stürzt, holte ich tief Luft, mischte die erste Farbe für die Vorzeichnung, Inkarnat mit einer Spur Karmesinrot, und legte damit die Stirnkontur an. Da stand sie, sauber und gelungen. Ich jubelte innerlich. Während Hände und Kopf wieder zusammenarbeiteten wie einst, hörte ich einen eigentümlichen Laut, eine Art anerkennendes Rascheln, eine Stimme, die aus der oberen Zimmerecke zu kommen schien. Und drum herum konnte ich leise nachhallendes Kinderlachen hören, mir war, als träumte oder phantasierte ich. Mit leichter Hand skizzierte ich die Züge in heller Rostfarbe; die Proportionen gefielen mir, und ich begab mich daran, die Schlitzärmel und die juwelenbestickten Verzierungen des Gewandes zu zeichnen. Das macht mir immer besonders viel Spaß, da ich eine Vorliebe für schön gefertigte Kleidung und gutes Geschmeide habe, und niemand hat besseren Schmuck als Prinzessinnen. »Oh, entzückend!« schien etwas zu sagen.
    Das kleine Gemälde riß mich mit, als es allmählich aus dem Pergament heraustrat. Ich mischte die Fleischfarben in den Muscheln mit Wasser und Gummiarabikum, und meine Sicherheit nahm zu, als ich die Farbpalette in den Perlmuttschälchen anlegte. Jetzt ging es ans Modellieren, also trug ich die Farben in haarfeinen Strichen auf, und das so peinlich genau und dicht nebeneinander, daß sie dem unkundigen Auge als geschlossene Fläche erscheinen mußten. Das ist eins der Geheimnisse einer vollendeten Miniatur, wie mein Vater zu sagen pflegte. Maler von großformatigen Gemälden versuchen immer, die Farbe als Fleck aufzutragen wie bei einem großflächigen Porträt, und bekommen dadurch die Feinheiten nicht in den Griff, die für die Ähnlichkeit erforderlich sind. Sie versuchen, die Form wie bei einem großformatigen Bild mit dunklen Farben, Violett- und Grüntönen, ja sogar mit Schwarz als Hintergrund herauszuarbeiten, und erhalten statt leuchtender Farbe nur ein düsteres, dunkles Geschmiere. Vaters Abtönfarben, die er den Illuminatoren abgesehen hatte, sind satt und hell und erwecken lediglich die Illusion von Schatten, wenn sie neben dem Inkarnat stehen. Das alles sind Geheimnisse, die die englischen Maler noch nicht entdeckt haben, und darum überlassen sie diese Arbeit Ausländern. Ausländern und Rowland Dallet.
    Ich war so versunken ins Malen, daß die Zeit nur so verflog. Rings um mich öffnete sich ein großer und leuchtender Raum, in dem alle Geräusche gedämpft klangen. Ein leises Glockenspiel, schöner als Musik, erfüllte die grenzenlose Weite. Gelegentliche Bemerkungen von Nan, die ein ums andere Mal hereinkam und »Ei, das wird aber sehr ähnlich!« und

Weitere Kostenlose Bücher