Die Suche
schon längst weg sein müssen, aber ich hatte mich zu eng mit den Menschen hier verbunden. Nicht nur mit Sam, auch mit Alexa, meiner kleinen, fröhlichen, unverwüstlichen Nachbarin. Ich konnte nur hoffen, dass Marcus ihr nichts antat. Und wenn doch, würde ich ihn bezahlen lassen. Sams Hand fuhr über meine noch feuchten Haare. Dann zog er mich wieder an sich, legte den Arm um meine Schultern und streichelte mich weiter.
Ich wagte es nicht, ihn anzusehen oder mich zu bewegen. Für einen Moment war die Welt in Ordnung. Nicht darüber nachdenken zu müssen, was passieren könnte. Wenn Marcus wollte, hätte er uns alle längst ausschalten können. Doch sein Spieltrieb ging mit ihm durch. Er schien es zu genießen, mich endlich in der Hand zu haben.
„Da wären wir“, unterbrach Adam meine Gedanken. Jo parkte vor dem hell erleuchteten Pizza-to-go Restaurant und schaltete den Motor ab. Es war ruhig vor dem Schnellimbiss mit der geöffneten Glasscheibe, wo die Gäste ihre Bestellung durchsagen konnten. Nur ein Jugendlicher, der die Kapuze seines Pullis tief ins Gesicht gezogen hatte, stand wartend und rauchend davor.
„Da drin sind ein paar Plätze, wo wir essen können.“ Jo öffnete seine Tür, stieg aus, streckte sich und wartete auf uns. Eine Straßenlaterne war ausgefallen, und als ich ausstieg, überzog ein Schauer meinen Körper. Schattige Winkel, in denen Angreifer kauern konnten. Waren wir verfolgt worden? Ich versuchte zu wittern, aber alles, was ich roch, waren Küchendämpfe und die Ausdünstungen meiner Begleiter, durchmischt von scharfem Großstadtgestank.
Jo ging vorweg und Adam bildete die Nachhut. Der einzige Tisch im Gastraum war noch frei und wir setzten und auf die hohen Hocker, legten die Jacken ab und türmten sie aufeinander. Jo strich sich die Haare aus dem Gesicht, steckte die Hände in die Taschen und stellte sich vor uns.
„Wasse darfe iche euch bringe?“ , imitierte er einen italienischen Akzent, doch niemand lachte. Wir bestellten Pizza und eine Flasche Wasser für alle. Nur Andreas bat um ein Glas Rotwein. Hauswein.
„Wir warten nun also, bis dieser Mistkerl sich meldet?“, fragte Andreas in die Runde, zog die Brauen zusammen und strich sich über die Nase.
„Müssen wir wohl. Adam hatte doch gesagt, wir sollen auf die nächsten Instruktionen warten. Wo ist er überhaupt?“ Suchend sah ich mich um, doch außer Jo, der an der Theke das Essen bestellte, entdeckte ich ihn nicht.
„Der ist eben aufs Klo“, bemerkte Sam und wies mit dem Kopf in die hintere Ecke, wo ein Schild angebracht war.
„Gute Idee. Dann kann ich mich mal im Gesicht waschen. Ich seh bestimmt fürchterlich aus.“ Zum Beweis hielt ich ihm meine Handfläche unter die Nase. Sam zog mich an sich und gab mir einen leichten Kuss auf die Lippen.
„Pass auf dich auf“, flüsterte er. Ich lächelte und rutschte vom Hocker. Adam kam mir auf halbem Weg entgegen und schob sich sein Handy in die Hosentasche. Er wischte sich die Hände an der Hose ab und nickte mir kurz zu.
In dem kleinen Klo sah ich in den Spiegel und zuckte zurück. Meine schicke Kurzhaarfrisur war strähnig und vom Regen zerstört. Wimperntusche und Kajal hatten sich von den Augen verabschiedet und saßen mir fleckig auf den Wangen. Die angeklebte Nase hing schief, und da ich sie sowieso vorerst nicht mehr brauchen würde, knubbelte ich sie mir ab und steckte sie in die Tasche. Dann fummelte ich die Kontaktlinsen aus den Augen, blinzelte erleichtert, und drehte den Wasserhahn auf. Leider war das Waschbecken nicht groß genug, um meinen Kopf unter den Hahn zu halten, so nahm ich ein Papiertuch und wischte mir nur das Gesicht sauber. Zum Schluss seifte ich noch meine Hände ein und hielt sie unter das eiskalte Wasser. Jetzt sah ich mir selbst wieder etwas ähnlicher. Ich unterdrückte eine Welle aus Verlustschmerz über meine schönen, langen Haare. Eitles Biest, schimpfte ich mich selbst. Du hast wohl gerade größere Probleme als deine Haare. Wenn du das hier überstanden hast, kannst du sie zweihundert Jahre lang wachsen lassen.
Mit einem letzten Blick in den Spiegel verließ ich den kleinen Raum und gesellte mich zu den anderen, die bereits ihre Pizzen auf dem Teller hatten.
„Kleine Schönheits OP?“ Sam zwinkerte mir zu und schob mir einen Teller hin. Ich fiel über die Pizza her. Jetzt erst merkte ich, wie hungrig ich war. Doch als der Hunger schwand, machte sich Müdigkeit in mir
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