Die Suche
Schritten auf uns zu. Er stellte den Koffer ab, kniete sich zu Andreas, befühlte seinen Puls und sah zu uns.
„Er lebt. Aber er muss sofort ins Krankenhaus. Wir wissen nicht, welche inneren Verletzungen er hat. Puls instabil. Wir bringen ihn ins St. Thomas Hospital.“ Sam nickte und strich seinem Vater vorsichtig über die Stirn. Sein Gesicht war blass, er biss sich auf die Zähne, so dass ich seine Wangenmuskeln arbeiten sehen konnte.
"Sie sind ein Verwandter?", fragte einer der Sanitäter ihn. Sam nickte. "Sein Sohn", sagte er, und seine Stimme klang fremd. Der Sanitäter nickte.
„Der Kollege verständigt gerade die Polizei. Wollen Sie bei uns mitfahren?“ Sam nickte. „Gut. Bleiben Sie bitte einen Moment bei Ihrem Vater. Wir holen die Trage.“
Andreas sah schrecklich bleich aus. Er war immer noch nicht bei Bewusstsein.
„Wir kommen mit", sagte ich zu Sam gewandt. "Jo soll mich ins Krankenhaus fahren. Ich lass dich nicht alleine.“
Sam sah mich an. In seinen Augen standen Tränen, sein Mund zitterte und er biss sich auf die Lippe, in dem verzweifelten Versuch, Fassung zu bewahren. Wie er da so kniete, völlig verängstigt, erinnerte er mich an ein kleines schutzloses Kind. Die Sanitäter unterbrachen uns, halfen Sam aufzustehen und hievten Andreas professionell auf die Trage. Verloren stand Sam da. Ich nahm ihn in meine Arme, drückte ihn fest an meine Brust, streichelte ihm über die Haare im Nacken. Er zuckte etwas zusammen, wohl wegen seiner leichten Verletzung.
„Alles wird wieder gut. Alles wird wieder gut“, flüsterte ich. Die Sanitäter schoben die Trage mit Andreas ins Heck des Krankenwagens. Noch immer geisterte das Blaulicht über Pfützen und Häuserwände. Dann kam ein Sanitäter zu uns und berührte Sam am Arm.
„Kommen Sie mit?“ Sam nickte mechanisch, folgte dem jungen Mann und stieg hinten ein.
„Wir bringen ihn ins St. Thomas Krankenhaus, das ist in der Nähe“, informierte er uns. Ich sah noch, wie er von einem der Sanitäter auf eine schmale Bank dirigiert wurde. Dann schloss der Sanitäter die Türen von innen, und kurz darauf brummte der Motor des Krankenwagens auf. Pfützen plätscherten, als der Krankenwagen nach vorne zur Hauptstraße rollte. Ich sah zu, wie er um die Biegung verschwand. Kurz darauf hörte ich die Sirene, die allmählich vom Geräuschteppich der Großstadt überdeckt wurde.
Jo nahm mich am Arm.
„Was zum Teufel ist hier passiert?“
„Ich habe keine Ahnung. Aber es sieht nach einem Überfall aus.“
"Werwölfe?"
"Ich rieche keine. Ihr?"
Ich sah, wie sie versuchten, Witterung aufzunehmen, und dann einen Blick wechselten.
"Nein."
"Nein, ich auch nicht."
Jo schlang die Arme um sich.
"Ist es vorstellbar, dass ausgerechnet er Opfer eines ganz normalen Raubüberfalles wird?"
Adam zuckte die Schultern.
"Warum nicht? So bedauerlich es ist, aber Zufälle passieren."
Jo schüttelte den Kopf.
"Ich glaube nicht an Zufälle."
Ich glaubte auch nicht daran, hatte aber auch keine bessere Erklärung. Ich schritt die Stelle ab, an der Andreas gelegen hatte, aber ich fand nichts Verdächtiges - weder auf dem Boden, noch in der Luft. Ich erwog, mich zu verwandeln, um die Spürnase der Wölfin auszunutzen, aber die Situation erschien mir zu unübersichtlich. Niemand wusste, ob die Angreifer noch in der Gegend waren.
"Lasst uns ins Krankenhaus fahren", schlug Adam vor. "Hier können wir nichts tun, nur herumstehen und rätseln. In welches bringen sie ihn?"
"St. Thomas."
"Okay. Dann los."
Adam drehte sich um und ging auf den Audi zu, den Jo mit seinem Schlüssel fernöffnete. Mir war schlecht, als ich ihnen folgte. Die Situation wuchs mir eindeutig über den Kopf und dass ich Freunde in etwas hineinzog, was sie gar nichts anging, betrübte mich. Mit gemischten Gefühlen stieg ich hinten ein. Jo war gerade im Begriff, den Motor zu starten, als Adam plötzlich wieder die Tür öffnete.
„Sorry, Leute. Ich muss schnell etwas erledigen. Ich komme nach.“ Verwirrt hielt Jo inne. Adam stieg aus. Der Knall der zugeklappenden Tür ließ uns kurz zusammenzucken.
„Was bitte ist auf einmal so wichtig?“, fragte ich erstaunt.
„Keine Ahnung“, gab Jo zurück, drehte endlich den Schlüssel, legte den ersten Gang ein und rollte vom Gehweg auf die Straße.
12. Kapitel
London Stadtmitte - Big Ben, Herbst 2012
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