Die Sünde in mir
keine andere Erklärung eingefallen.
Mama sagt immer: “Wenn du weiter so böse bist, kommst du ins Heim“, oder: „Wenn du nicht bald einschläfst, kommst du ins Heim.“
Vermutlich bin ich jetzt böse genug gewesen, um dorthin zu kommen. Sabine hat mir zwar erklärt, dass mit dem Heim sei Quatsch, und Mama würde das nur so sagen, aber anders kann ich mir diese Sache nicht erklären. Wo bin ich?
„Ich habe gehört, dass eine Nicole hier sein soll“, sagt die Stimme. Sie klingt ganz nett.
„Aber hier ist niemand! Das Zimmer ist ja leer.“
Ich höre Schritte, die auf mich zu kommen. Meine Haare an den Armen stellen sich hoch. Sohlen quietschen auf dem Boden, sodass mir ein Schauer über den Rücken läuft.
Meine Matratze sinkt ein, als sich jemand auf das untere Ende setzt.
„Was mache ich denn jetzt nur?“, fragt die Stimme ratlos.
Ich bin gespannt, was jetzt passieren wird und halte den Atem an.
„Ein schönes Bett ist das hier. Vielleicht sollte ich mich einfach ein bisschen hinlegen und auf Nicole warten.“
Ich fühle ein Gewicht auf meinen Beinen, das aber sofort wieder verschwindet. Jemand hat sich auf meine Beine gelegt!
„Was war das?!“, ruft die Stimme ängstlich. Dann tastet eine Hand auf der Bettdecke herum.
„Ist da wer?“
Jetzt kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Wie doof ist der denn? Ich schlage die Decke zurück.
„Gefunden!“, rufe ich und muss grinsen aber nur ganz kurz.
Er erschrickt sehr und starrt mich an, wobei er sich an die Brust greift. Das sieht so lustig aus.
„Du hast mich aber erschreckt“, sagt er, „mach das nicht noch einmal.“
Wir mustern uns gegenseitig. Ich hatte gehofft, er sei jünger, aber er ist auch schon alt, so wie mein Papa ungefähr. Aber er hat lustige Augen und Sommersprossen.
„Ich bin Frank“, stellt er sich vor und streckt mir die Hand hin. Misstrauisch sehe ich ihn an. Er wirkt nett, ist aber doch ein Fremder.
Vorsichtig reiche ich ihm meine gesunde Hand. Es ist zwar die Falsche, aber die mit dem Gips ist blöd.
„Kennst du zufällig eine Nicole? Die suche ich nämlich.“
Ich zögere noch einen Moment, bevor ich zugebe: „Ich bin Nicole. Was willst du denn von mir?“
Kapitel 16
Früher
Samstags und mittwochs ist Badetag. Mama schaltet den riesigen Beuler über der Wanne ein und wir müssen dann warten, bis der rote Knopf herausspringt und aufhört zu leuchten. Dann ist das Wasser warm.
Ich freue mich immer riesig aufs Baden!
Mama lässt das Wasser in die Wanne, in die ich mit Sabine zusammen rein muss. Sie sitzt immer auf der schönen Seite. Weil ich kleiner bin, muss ich unter dem Beuler und auf dem Stöpsel sitzen. Mama legt zwar eine Plastikmatte über den Stöpsel, aber ich finde es trotzdem blöd. Außerdem habe ich immer Angst, dass der Beuler mal runter fallen könnte und auf mich drauf und das würde bestimmt ziemlich weh tun.
Aber jetzt ist ja Tanja da! Zu dritt passen wir nicht in die Badewanne und so entscheidet Mama, dass Sabine als Erstes rein darf, und zwar alleine. Danach soll ich zusammen mit Tanja in das Badewasser.
So wirklich begeistert bin ich von der Änderung nicht. Sabine hat mir immer etwas beigebracht, wenn wir zusammen im warmen Wasser saßen. Rum spritzen durften wir nicht, aber sie hat mir gezeigt, wie man mit der hohlen Hand Wasserfontänen macht, oder wie der Schaum weggeht, wenn man ihn mit Seife berührt. Manchmal hat sie mir auch von der Schule erzählt und mir englische Wörter beigebracht. Das fand ich lustig. Mittwochs nimmt Sabine ihr Radio mit ins Bad, denn da kommt die Diskothek im WDR mit Mel Sondocks. Der spricht so lustig, aber die Lieder mag ich nicht so gerne, denn sie sind in Englisch. Sabine muss das unbedingt hören und ich soll dann immer still sein.
Wie üblich hilft mein leises Maulen nicht und so muss ich zusehen, wie meine große Schwester mit ihrem Radio im Bad verschwindet. Sie scheint sich zu freuen, dass sie alleine baden kann. Durch die Tür höre ich die lustige Stimme des Moderators.
„Spiel noch ein bisschen mit Tanja“, sagt Mama, „Ich rufe euch dann, wenn ihr rein könnt.“
Mit Tanja spielen! Was soll ich schon mit dem Baby spielen? Die versteht ja gar nichts. Erwartungsvoll hat sie schon das Märcheneinmaleins rausgeholt. Seufzend setze ich mich zu ihr auf den Kinderzimmerboden. Wir können beide noch nicht rechnen, aber das ist für dieses Spiel auch nicht unbedingt nötig. Es gibt mehrere
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