Die Sünde in mir
den jungen Arzt von oben bis unten.
„Keine Angst. Sollte sie ein Messer aus ihrem Krankenhaushemd ziehen, bin ich die Erste, die das sieht. Ich drücke den Alarmknopf und John kommt dich retten. Dem Professor ist er ja auch schon zur Hilfe geeilt.“
„Der Professor musste gerettet werden?“, fragte Frank überrascht.
„Na ja, nicht wirklich. Die Dame hat nur angefangen, wie verrückt zu schreien. Entschuldige den Ausdruck. John musste dann mit der Beruhigungsspritze anrücken.“
„Ich glaube, ich nehme doch den Kaffee“, meinte Frank, dem die Knie ein bisschen weich wurden. Außerdem hoffte er, dass Gisela sich vielleicht verplappern würde und er so doch noch an Details des Verbrechens kam.
„Die Kanne steht im Schwesternzimmer. Bring mir einen mit.“
Kapitel 14
Früher
Tanja geht mir auf die Nerven. Ich habe sie tatsächlich mit in den Kindergarten nehmen müssen. Sie hängt ständig an mir dran und versucht sogar sich an mir festzuklammern. Ich muss ihre Hand dauernd abmachen.
„Lass mich in Ruhe!“, schimpfe ich, aber leise, damit die Kindergartentanten das nicht hören.
„Geh mit den Kleinen spielen.“
Ich bringe sie wieder mal zum Sandkasten, in dem die jüngeren Kinder spielen. Wir Großen, also die zukünftigen Schulkinder, haben unseren Platz weiter hinten bei den Wippen. Ich hoffe wirklich, dass Tanja jetzt mal da sitzen bleibt, aber sie sieht sich schon wieder nach mir um. Warum kann die mich nicht in Ruhe lassen?
Ich habe eigentlich gedacht, dass sie nach der Sache mit dem Gras sauer auf mich sein würde, aber das scheint nicht so zu sein und gepetzt hat sie anscheinend auch nicht.
Da kommt sie schon wieder an! Jetzt reicht es mir aber!
Wütend stapfe ich ihr entgegen und warte gar nicht, bis sie bei mir angekommen ist.
„Ich glaube, du musst mal aufs Klo“, sage ich. Tanja wendet nichts ein, als ich sie in Richtung der Toiletten führe.
„Du sollst mir nicht nachlaufen! Hast du das immer noch nicht verstanden? Ich will nichts mit dir zu tun haben!“
Sie sagt nichts. Läuft mit gesenktem Kopf neben mir her. Es bleibt ihr auch nichts anderes übrig, denn ich habe ihre Hand gepackt.
„Geh da rein!“, sage ich und schiebe sie in eine der Kabinen, in der die niedrigen Toiletten für uns Kinder angebracht sind. Die Räume hier sind nicht schön. Es stinkt und an den hohen Decken hängen Spinnenweben. Ich sehe noch, wie Tanja an ihrer Hose nestelt, dann knalle ich die Tür zu.
„Du bleibst jetzt da drin, bis ich dich wieder hole, verstanden?“, rufe ich ihr zu.
„Wehe, ich sehe dich draußen!“
Ich lasse sie im Toilettenraum und gehe wieder hinaus. Endlich habe ich meine Ruhe und kann mit den anderen spielen. Die Zeit vergeht ganz schnell und auf einmal sollen wir den Schlusskreis bilden. Da fällt mir Tanja wieder ein. Schnell will ich hineinlaufen und sie holen, doch da hält eine der Tanten mich zurück.
„Nicole! Wir singen jetzt. So lange hältst du es wohl noch aus, oder?“
Ich überlege. Offenbar wird Tanja von niemandem vermisst und ich kann auch gut auf sie verzichten. Also zucke ich die Schultern und stelle mich zu den anderen in den Kreis. Ich habe nur nicht daran gedacht, dass die Eltern schon am Tor stehen und darauf warten, dass wir fertig werden. Schnell suche ich mit den Augen die Wartenden ab. Da ist Mama! Sie hat mich auch gesehen und runzelt die Stirn.
„Tanja?“, fragt sie stumm.
„Mist!“, denke ich.
Das Abschlusslied scheint gar kein Ende zu nehmen. Als wir fertig sind, laufe ich sofort los, Richtung Toilettenraum. Hoffentlich ist sie noch da! Tanja sitzt da, wo ich sie zurückgelassen habe, mit heruntergelassener Hose. Erleichtert ziehe ich sie wieder an und packe dann ihre Hand: „Komm mit“.
„Wo war sie denn?“, fragt Mama, die schon die Stufen hinauf kommt.
„Auf der Toilette“, entgegne ich. Tanja sagt wie immer nichts.
Kapitel 15
Es klopft an der Tür. Ich verstecke mich unter der Bettdecke, so wie ich es immer mit Oma gemacht habe, wenn wir verstecken spielten.
Das ist bestimmt wieder der Mann! Die Tür knarrt ein bisschen, als sie vorsichtig geöffnet wird. Ich höre jedes Geräusch überdeutlich. Mein Herz schlägt ganz schnell.
„Niemand zu Hause?“, fragt eine Stimme, die ich nicht kenne.
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich in dem Heim sein muss, von dem Mama immer spricht. Ich habe lange darüber nachgedacht und mir ist
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