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Die Sünde in mir

Die Sünde in mir

Titel: Die Sünde in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alegra Cassano
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Wieland reichte ihm eine Tasse.
    „Er hat von früher erzählt, davon, wie sie sich kennengelernt haben. Daraufhin hat sie geweint.“
    „Meinen Sie, dass sie sich erinnert hat?“
    „Nun ja“, seufzte der Professor, „wir Menschen möchten gerne an so etwas glauben. So wie die schlafende Schöne im Märchen wach wird, wenn der Richtige sie küsst. Fakt ist, dass es auch eine ungezielte Reaktion gewesen sein könnte. Genau wie wir nicht wissen, ob nun ihre Geschichte sie aus dem Stupor geholt hat, oder ob es die Medikamente waren, die sie zeitgleich bekam. Vielleicht war es eine Mischung aus beidem, aber es hätte auch einfach so passieren können, wenn wir gar nichts unternommen hätten. Es ist also alles reine Spekulation.“
    „Das ist ziemlich desillusionierend“, seufzte Frank.
    „Es tut mir leid. Sie können ruhig weiter daran glauben, dass ihr Märchen sie entspannt hat. Es macht keinen Unterschied. Wichtig ist nur das Ergebnis.“
    „Apropos Märchen“, fiel es Frank ein, „ich habe über die Aussage von Nicole nachgedacht, dass der böse Wolf in der Kinderkur anwesend war. Was meinen Sie, was sie damit sagen wollte?“
    Wieland trank seinen Kaffee und schien nachzudenken. Manchmal war die Angewohnheit des Professors, lange zu schweigen, bevor er fortfuhr, sehr irritierend. Frank fragte sich bereits, ob sein Vorgesetzter auf eine Antwort von ihm wartete.
    „Der böse Wolf klingt zunächst nach einer Märchenfigur, doch muss es sich nicht zwangsläufig darum handeln. Es könnte ein Symbol für etwas anderes sein. Einen echten Wolf können wir wohl getrost ausschließen, aber was ist mit einem Menschen, der dem Kind Angst gemacht hat? Der böse Wolf im Märchen ist zum Fürchten. Vielleicht hat sie nur das Gefühl damit gemeint.“
    Frank dachte darüber nach. Es klang logisch. Nicole musste in der Kur etwas erlebt haben, woran sie sich nicht erinnern wollte. Es war zu schade, dass er weggerufen worden war, während sie Nicoles Geschichte in einer Traumreise erlebt hatten. Zu gerne hätte Frank gewusst, was geschehen war und wie viel davon Nicole ihm erzählt hätte.
    „Ich würde heute Nachmittag gerne Frau Lindemann aufsuchen, wenn Ihnen das Recht ist.“
    „Natürlich. Ich bin gespannt, was sie noch zu erzählen hat. Herr Schütz will morgen zu einem Gespräch zu mir kommen. Heute war er zu aufgewühlt. Aber ich bin guter Hoffnung, dass wir einen großen Schritt nach vorne machen.“
     
     
     
     
     
     
     
     

Kapitel 68
     
     
    Sehnsucht zieht durch meine Brust. Das Bild der glücklichen Familie unter dem Weihnachtsbaum ist nur noch blass, wie ein Dia, das ich nicht wieder mit Leben füllen kann. Nicht alleine.
    Ich komme mir schrecklich verlassen vor. Über mir piept es eintönig. Mir ist kalt. Niemand kümmert sich um mich. Ich will, dass Frank kommt! Aber da gibt es noch jemand anderen. Seine Hand war so schön warm, als er meine gehalten hat. Seine Stimme klang so vertraut, dass es wehtat. Etwas in mir ist angestoßen worden und hat sich in Bewegung gesetzt.
     
     
    „Gibt es was Neues?“
    Frank? Gott sei Dank! Er ist da! Ob er mir wieder den kleinen Häwelmann vorliest?
    „Hallo, Nicole. Ich habe gehört, dass du heute Besuch hattest.“
    Ich warte darauf, dass er weiter spricht, aber das tut er nicht. Meine Gedanken antworten ihm, aber offenbar versteht er nicht, was ich sage. Was soll ich nur tun? Ich habe es so versucht, aber ich kann mich nicht bewegen, kann nicht sprechen. Warum hilft mir denn keiner?!
    „Der Besucher, der hier war, hat dich sehr lieb, aber ich glaube, das weißt du.“
    Er streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie hing die ganze Zeit vor meinem Auge. Ich konnte nichts dagegen tun und niemand hat es bemerkt, außer Frank. Er ist so lieb.
    „Es gibt noch mehr Menschen, die dich furchtbar lieb haben, weißt du?“
    Mein Hals wird eng, so wie früher, wenn ich weinen musste. Es fängt hinten im Rachen an zu brennen. Ich möchte doch nur die Geschichte vom Häwelmann hören. Warum erzählt er sie mir nicht?
    „Wir werden dir helfen. Du musst keine Angst haben. Bald wirst du dich wieder bewegen und mit uns reden können. Hab noch ein bisschen Geduld, ja?“
     
     
    Warum hört er sich so an, als wenn er fast weint? Was haben die mit mir vor? Ich möchte nach Hause! Wenn Oma doch nur hier wäre! Aber ich kann sie nicht finden, auch nicht, wenn ich die Augen zu mache. Sie ist nicht da! Ich vermisse sie so. Hätte ich doch nur besser auf den Engel

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