Die Sünde in mir
machte ich mir richtig Sorgen, weil dieser Zustand länger anhielt. Sie wollte nicht essen und nicht trinken. Ich war drauf und dran unseren Hausarzt anzurufen, doch plötzlich stand sie auf und nahm den Staubsauger in die Hand. Sie hat das ganze Haus auf Vordermann gebracht und war wie ausgewechselt.“
„Wann war das?“
„Erst vor ein paar Wochen. Kurz bevor … es passiert ist.“
Kapitel 71
„Haben Sie die Medikamente bei Frau Schütz erhöht?“
Dr. Sanders, der Oberarzt der Intensivstation, sah den jungen Kollegen aus der Psychiatrie fragend an.
„Ja. Haben Sie etwas dagegen, Herr Kollege?“
Frank holte tief Luft und stieß sie seufzend wieder aus.
„Ich mache mir Vorwürfe, weil ich die Medikation damals abgesetzt habe“, gestand er schließlich.
Das Gesicht des Oberarztes entspannte sich. Es stellte also niemand seine Kompetenz infrage.
„Dies ist ein Lehrkrankenhaus, Dr. …?“
„Fabian.“
„Dr. Fabian. Ich bin sicher, dass Sie mit ihrem Professor über das Absetzen der Medikamente gesprochen haben.“
Frank nickte: „Dennoch bleibt es meine Idee.“
„Warum wollten Sie, dass die Patientin keine Medikamente bekam?“
„Ich habe mich viel mit ihr beschäftigt. Sie hat jemanden umgebracht, das wissen Sie, oder?“
Dr. Sanders nickte.
„Ich denke, dass sie bei der Tat nicht zurechnungsfähig war. Es muss einen Auslöser gegeben haben und dann ist etwas mit ihr durchgegangen. Danach hat sie sich in ihre Kindheit geflüchtet, die jedoch nicht die glücklichste war. Trotzdem hielt sie sie offenbar für besser oder sicherer, als ihr jetziges Leben. Sie hat komplett verdrängt, wer sie ist und welche Menschen ihr wichtig sind. Sie ist mit Haut und Haaren wieder sechs Jahre alt gewesen. Ich hatte das Gefühl, dass sie in dieser Zeit glücklich war, und wollte ihrer Psyche diese Auszeit gönnen, anstatt sie mit Medikamenten zu blocken.“
Frank spürte einen Kloß im Hals. Eigentlich hatte er Nicole nur besuchen wollen und war Dr. Sanders in die Arme gelaufen.
„In der Psychiatrie denkt ihr immer so kompliziert“, schmunzelte der Intensivmediziner.
„Ich übernahm die Patientin mit einem Stupor. Warum dieser entstanden ist, war erst einmal nebensächlich. Ich wollte ihn nur auflösen, damit diese Krampfhaltung, die übrigens für die Patienten sehr unangenehm ist, aufhört. Also verabreichte ich ihr Muskelrelaxantien und Sedativa. Für eine EKT, wie sie ihr Professor vorschlug, fehlte uns die Einwilligung des Ehemannes, die übrigens vorhin erteilt wurde. Die Starre ist durchbrochen worden. Die Muskeln haben wieder einen normalen Tonus und die Vitalwerte sind in Ordnung. Es spricht also nichts mehr gegen eine Elektrokampftherapie. Wollen Sie dabei sein?“
Dann war Herr Schütz also schon bei Professor Wieland! Frank hatte sich um andere Patienten gekümmert und war dann gleich zur Intensivstation gelaufen, die in einem anderen Flügel des Gebäudes untergebracht war. Deshalb hatte er nichts mitbekommen. Er wollte erst heute Mittag mit dem Professor sprechen und ihm von der erneuten Unterhaltung mit Nicoles Mutter berichten.
„Wann soll es denn stattfinden?“
Dr. Sanders sah auf die Uhr und wiegte dann den Kopf hin und her.
„Nach dem Mittagessen“, entschied er dann, „wenn Sie wollen, kommen Sie einfach dazu. Vermutlich wird eine einzige Sitzung nicht reichen, aber wir machen heute den Anfang.“
Kapitel 72
Früher
Ich bin jetzt immer lieb. Ich esse alles auf, was sie mir vorsetzen. Ich schlafe, wenn ich schlafen soll. Ich male, wenn ich malen soll. Ich singe nicht mit, aber ich höre zu, wenn sie ihre komischen Seemannslieder singen. Ich inhaliere sogar, ohne angeschnallt werden zu müssen. Mir ist alles egal.
Sogar wenn Wolf mich holt, ist es mir egal. Er sagt den Frauen, dass ich zur Kontrolle zur Krankenstation müsse und sie haben nichts dagegen.
Ich spreche nicht mehr viel. Das finden alle gut, außer Karin. In der Nacht, nachdem ich bei Wolf gebadet habe, ist Karin mit mir zur Toilette gegangen. Eigentlich dürfen wir nicht zu zweit gehen, aber die Frau, die die Aufsicht hatte, war nicht zu sehen. Karin wollte wissen, was mit mir los sei. Ich habe mir neues Klopapier in die Unterhose gelegt, damit sie nicht dreckig wird und dann konnte ich nicht anders, als Karin zu erzählen, was Wolf gemacht hat. Ich konnte es nicht länger für mich behalten. Es wollte einfach aus
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