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Die Sünde in mir

Die Sünde in mir

Titel: Die Sünde in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alegra Cassano
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Frank.
    „Natürlich kann ich nur Vermutungen anstellen“, sagte Professor Wieland, „aber wo wir gerade dabei sind, können wir die Geschichte ja ruhig weiter spinnen. Warum hat sie so gehandelt?“
    Frank grübelte. Unbemerkt strichen seine Handflächen über die Oberschenkel bis zum Knie und wieder zurück.
    „Vielleicht wollte sie sein Innerstes ans Tageslicht zerren?“
    „Ja, schon möglich. Vielleicht war der Mann, auf den sie diese Wut hatte, nach außen hin ein netter Kerl. Sie könnte die Absicht gehabt haben, der Welt sein verdorbenes Inneres zu zeigen. Keine schlechte Idee.“
    „Aber wie konnte sie einen so großen Mann überwältigen? Der Schnitt am Anfang war doch nicht tödlich. Er hat sich doch sicher gewehrt!“
    „Laut dem Obduktionsbericht hatte das Opfer eine tiefe Fraktur an der Schädelseite. Entweder hat sie ihn mit etwas geschlagen, was ich nicht glaube, oder er ist gestürzt. Die Tür der Spülmaschine war offen. Vielleicht ist er auf die Kante geschlagen.“
    „Warum hat sie sein Gesicht zerstört?“
    „Na, das muss ich Ihnen doch wohl nicht erklären, oder?“
    Nein. Das konnte Frank sich selbst denken. Nicole wollte dieses Gesicht, das sie vermutlich abgrundtief hasste, für immer vernichten. Das Gesicht eines Menschen ist am charakteristischsten. Von dem des Opfers war nicht mehr viel übrig geblieben.
    „Haben wir ein Foto des Manns?“, wollte Frank wissen.
    „In der Polizeiakte befinden sich Fotos vom Tatort und vom Opfer, aber wie er vorher aussah, kann ich nicht sagen. Ich gehe jedoch stark davon aus, dass sein Aussehen ihm zum Verhängnis wurde, denn sonst hätte Frau Schütz sich nicht solche Mühe gegeben, sein Gesicht derart zu entstellen. Sie müssen sich auch vergegenwärtigen, was das für ein Kraftakt gewesen sein muss, einen erwachsenen Menschen so zuzurichten und das bei ihrer zarten Statur.“
     
     
     
     
     
     
     
     

Kapitel 84
    Früher
     
     
    Am Morgen hängen die grau–blauen Hasenpfoten an der Tür des Kleiderschranks. Sabines großer Teddy liegt in meinem Bett. Ich weiß nicht, ob ich ihn mir selbst geholt habe, oder ob sie ihn mir hingelegt hat. Eigentlich gibt sie ihn nie weg. Sabines Bett ist schon leer. Früher hat sie immer lange geschlafen und mich ermahnt, liegen zu bleiben. Sie hat doch jetzt Ferien und kann ausschlafen. Ich verstehe nicht, wieso sie so früh aufgestanden ist. Oder habe ich so lange geschlafen?
    In der Küche ist alles fürs Frühstück gedeckt, aber niemand ist da. Ich schleiche durch alle Zimmer, aber ich bin wirklich alleine. Mama sagt mir sonst immer Bescheid, wenn sie einkaufen geht.
    Es klopft an der Tür und ich schrecke zusammen. Was soll ich denn jetzt machen? Mama sagt immer, ich soll die Tür nicht aufmachen, wenn sie nicht da ist. Schon höre ich, wie jemand meinen Namen ruft. Es ist die Nachbarin, Frau Brauer.
    „Nicole!“, ruft sie, „Mach doch bitte mal auf!“
    Ich quetsche mich an die Wand. Vielleicht geht sie wieder weg, wenn ich so tue, als wäre ich nicht da. Schließlich kenne ich die Geschichte von den sieben Geißlein. Die waren auch dumm genug, die Tür aufzumachen.
    „Nicole! Deine Mama hat mich angerufen und gesagt, dass du alleine zu Hause bist. Du sollst zu mir rüber kommen, bis deine Eltern wieder da sind!“
    Meine Eltern? Ist Papa denn nicht arbeiten? Vielleicht haben wir Wochenende. Da ist er immer zu Hause und schläft lange. Im Schlafzimmer war ich schon, da ist aber niemand. Die Betten sind gemacht wie immer und die hellblaue Tagesdecke ist über das Bett geworfen.
    „Nicole! Hörst du mich nicht? Komm zu mir rüber, ja? Ich mach dir einen schönen Kakao!“
    Eigentlich mag ich Frau Brauer. Kakao mag ich auch, jedenfalls wenn die Haut ab ist. Aber vielleicht ist das ein Trick. Vielleicht steht Wolf draußen und verstellt seine Stimme, sodass er sich anhört wie unsere Nachbarin. Ich hole einen Stuhl aus der Küche, den ich kaum tragen kann. Den stelle ich vor die Wohnungstür und klettere drauf. Jetzt kann ich durch das Guckloch sehen.
    „Du musst dich nicht fürchten, Nicole! Ich bin es wirklich. Deine Mama hat gesagt, dass es spät werden kann, bis sie wieder kommt. Du kannst doch nicht so lange ganz alleine bleiben!“
    Die Haare sehen aus wie die von Frau Brauer. Aber ich bin mir immer noch nicht sicher. Es gibt ja auch Perücken. Meine Mama hat eine. Die steht auf dem Schrank im Badezimmer auf einem Styroporkopf. Ich habe die schon mal aufgesetzt. Das sah lustig aus. Ich

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