Die Sünde in mir
und beten.
„Ich hole sie später“, sagt Papa und geht Mama hinterher. Seine Stimme klingt komisch. Ich bin froh, als unsere Wohnungstür zu ist.
„Komm, wir gehen wieder rein“, sagt Frau Brauer und schiebt mich zurück in ihre gemütliche Küche.
„Kannst du die Kerze anmachen?“, frage ich.
Sie holt eine Streichholzschachtel, nimmt ein Hölzchen heraus und reibt es an. Ich rieche den Duft so gerne, der dabei entsteht. Die Flamme der Kerze lodert auf. Es ist ein schönes orangenes Licht. Ich falte die Hände und bete, wie Frau Brauer es mir gezeigt hat.
„Lieber Gott! Bitte mach, dass meine Schwester wieder gesund wird und nach Hause kommt“, sage ich. Ich spüre, dass Frau Brauer hinter mir steht. Eigentlich will ich noch mehr sagen, aber das darf sie nicht hören. Ihre Hände legen sich auf meine Schultern.
„Ach, Kind“, seufzt sie.
Weil ich den lieben Gott nicht laut um etwas bitten kann, versuche ich es in Gedanken. Vielleicht hört er das ja. Angeblich kann Gott ja sogar in Herzen sehen.
‚ Ich bin‘s noch mal, lieber Gott ‘, fange ich an, ‚ ich wollte dich noch fragen, ob es meiner Oma bei dir gut geht und ob du ihr einen Gruß von mir schicken kannst. Und wenn es nicht zu viel ist, dann möchte ich noch, dass du meine Mama wieder lachen lässt. Es ist doof, dass sie immer weint .“
Ich überlege, ob ich dem lieben Gott noch was sagen soll, aber ich glaube, wenn ich zu viel von ihm will, dann wird er nachher sauer und macht gar nichts für mich.
„Bist du fertig?“, fragt Frau Brauer.
Ich nicke und wir pusten zusammen die Kerze aus. Ich sehe dem Rauch nach, wie er zur Decke steigt. Auch diesen Geruch mag ich.
Sabine hat sich immer die Finger mit Spucke nass gemacht und die Kerzendochte ausgemacht, nachdem wir schon gepustet hatten. Dann hat es gezischt. Ich habe mich das nicht getraut. Ich hoffe, Sabine kommt bald wieder. Es ist langweilig ohne sie. Wir könnten ja zusammen in Papas Garten gehen und gucken, ob Emma wirklich nicht mehr da ist. Ich glaube immer noch nicht, dass das Fell von Emma stammt.
„Sollen wir etwas spielen?“, fragt Frau Brauer.
Ich nicke. Wir spielen wieder Memory, weil ich nichts anderes mitgebracht habe und drüben will ich nicht klingeln.
Frau Brauer sieht ein paar Mal so aus, als wenn sie mir etwas sagen will, aber sie macht es nicht. Ich traue mich auch nicht, sie zu fragen.
Als ich schon müde bin und auf Frau Brauers Couch im Wohnzimmer liege, klopft es an der Tür. Ich weiß, dass es meine Eltern sind, die mich abholen wollen. Trotzdem tue ich so, als würde ich schon schlafen. Vielleicht gehen sie ja wieder weg.
Papa hebt mich hoch. Ich rieche sein Rasierwasser und das Bier, das er getrunken hat. Ich höre, wie er sich bei der Nachbarin bedankt. Dann werde ich über den Flur getragen und in unsere Wohnung. Auf der Couch im Kinderzimmer legt er mich ab und deckt mich zu. Ich kneife die Augen fest zusammen. Papa seufzt und geht dann weg. Ich höre seine Schritte im Flur und dann im Bad. Das Wasser rauscht, trotzdem meine ich, Weinen zu hören. Papa hat noch nie geweint! Ich erinnere mich daran, was mein Cousin gesagt hat. Alle würden weinen, wenn jemand stirbt, auch die Papas ein bisschen.
Nein! Das darf nicht sein! Der Schreck fährt mir durch alle Glieder. Ich drehe mich auf die Seite und die schwarzen Knopfaugen von Sabines Teddy schauen mich an. Ich lege den Arm um ihn, damit er nicht so traurig ist, wie er guckt.
„Vielleicht stimmt das gar nicht“, flüstere ich ihm zu.
Kapitel 91
„Geht’s wieder?“ Professor Wieland hatte Frank in der Ambulanz gefunden, wo seine Hand gerade versorgt wurde. Der junge Arzt nickte.
„Wir müssen darüber reden, was passiert ist“, meinte Wieland.
„Ja, natürlich.“
„Ich kann verstehen, dass Sie geschockt sind, aber Sie dürfen diese Attacke nicht persönlich nehmen“, insistierte der Professor. Frank lachte kurz auf.
„Nur gut, dass ich den Wunsch der Tochter abgelehnt habe, ihre Mutter zu besuchen. Stellen Sie sich vor, Denise wäre wieder Zeugin geworden, wie ihre Mutter jemanden angreift.“
„Vielleicht hätte Frau Schütz aber auch ganz anders auf ihre Tochter reagiert“, überlegte der Professor.
„Sie ziehen doch nicht ernsthaft in Erwägung ein Treffen der beiden zu erlauben?“, fragte Frank fassungslos, „Sie sehen doch, was passiert ist!“
„Deshalb will ich mit Ihnen noch mal genau durchgehen, was auf der
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