Die Sündenheilerin (German Edition)
nicht sein«, widersprach Lena. »Wir können den Kreis durchbrechen, wenn wir daran glauben.«
»Wie sollten wir? Ihr habt gesehen, was ich getan habe. Ich habe meinen Gatten getötet, ganz gleich, was Herr Philip behauptet. Ohne meinen Stoß hätte er Dietmar nicht überwinden können.«
Lena wusste, dass die Gräfin die Wahrheit sprach. Philip hatte ihr erzählt, was er in den letzten Augenblicken des Kampfes durchgemacht hatte. Zwar war seine Verwundung nicht so schwer, wie sie anfangs befürchtet hatte, aber ohne Elises Eingreifen wäre er dennoch tot gewesen und hätte sich nicht schon wieder mit Said darüber streiten können, endlich aufstehen zu dürfen.
»Somit habt Ihr ihm und mir das Leben gerettet.«
»Ein Leben für zwei Leben. Ist das ein guter Tausch, Frau Helena?«
Lena senkte den Blick. »Ihr habt getan, was Ihr tun musstet. Dietmar war schon allzu weit auf dem Pfad der Verdammnis vorangeschritten. Gott hat Euch zu seinem Werkzeug gemacht, um ihn heimzuholen, damit er irgendwann geläutert werde und Vergebung im Himmelreich finde.«
»Wie das klingt … Ich ein Werkzeug Gottes, indem ich meinen Gatten morde.« Die Gräfin lachte bitter auf. »Bin ich nicht eher eine Verfluchte? Was werden die Menschen über mich sagen?«
»Sie werden nichts sagen. In den Augen der Menschen hat Philip Dietmar im ehrenvollen Kampf getötet. Ihr seid frei von jeder Schuld.«
»Frei! Wie das klingt.«
»Habt Ihr Euch niemals gefragt, warum Gott Euch in den letzten Tagen nicht erneut mit den schweren Anfällen heimsuchte, die Euch über Monate quälten?«
Zum ersten Mal blitzte Überraschung in Elises Augen auf. »Ihr meint, der Tod meines Gatten habe mich geheilt?«
»Nein, Frau Elise. Ich glaube, Eure Reue rief die Anfälle auf Euch herab, auf dass sie Euch für Eure Sünde und Martins Tod straften. Weil Ihr Euch selbst schuldig fühltet. Doch vor drei Tagen, da gabt Ihr die Schuld dem zurück, der sie wirklich trug. Ihr wart Gottes Werkzeug, damit Dietmar erntete, was er gesät hatte.«
»Ich habe es nicht gewollt«, flüsterte Elise. »Ich habe es nicht gewollt. Ich wäre ihm treu geblieben, wenn er mich nicht gezwungen hätte, seine Unvollkommenheit zu erkennen. Ich glaubte ihn zu lieben. Bis ich Martin traf.«
»Ich weiß«, sagte Lena leise. Auch sie hatte geglaubt, Martin zu lieben, bis sie Philip traf.
»Sagt, Frau Helena, was meinte Philip damit – man könne auch zurückkehren aus der Dunkelheit?«
»Er kennt sie. Er hat sie selbst durchschritten. Er hat erlebt, wie es ist, wenn die Seelenflamme verlischt und der Leib nur noch ein lebender Leichnam ist.«
»Wie konnte er zurückkehren?«
»Indem er etwas fand, wofür es sich zu leben lohnt. Er hatte seinem Vater ein Versprechen gegeben, das es einzulösen galt.«
»Etwas, wofür es sich zu leben lohnt? Er ist ein glücklicher Mann, dass er so etwas fand.«
»Auch Ihr habt etwas, Frau Elise. Euren Sohn.«
Auf einmal wurde das Gesicht der Gräfin kreidebleich. »Nein, nicht Rudolf! Er darf nicht bei mir bleiben.«
Mit einer derart heftigen Antwort hatte Lena nicht gerechnet.
»Warum nicht?«
»Wie soll ein Kind Liebe erfahren bei einer Mutter wie mir? Was soll aus ihm werden, wenn er erleben muss, wie ich hin und her gerissen werde zwischen Schwermut und törichtem Überschwang? So wie es immer war, schon vor meiner Ehe. So wie es der Fluch meiner Familie ist. Nein, das kann ich keinem Kind zumuten.« Sie atmete tief durch. »Frau Helena, darf ich Euch um eine letzte Gunst bitten?«
Lena spürte, wie ihr bei den Worten der Gräfin eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Wollte sie sich gar das Leben nehmen? Aber wenn es so wäre, dann hätte sie es doch längst getan, oder?
»Eine letzte Gunst?«
»Nehmt Ihr Euch seiner an? Ich weiß, dass Ihr einem Kind Liebe schenken könnt. Damit ihm das Schicksal seiner Mutter für alle Ewigkeiten erspart bleibt.«
»Aber Frau Elise, es ist Euer Kind, ihr…«
»Nein, Lena«, unterbrach die Gräfin sie. Es war das erste Mal, dass sie sie Lena nannte. »Vielleicht werdet Ihr es nie verstehen, aber das ist der größte Liebesbeweis, den ich meinem Kind erbringen kann. Denkt daran, er ist auch Martins Sohn. Es hätte Euer Sohn sein können, hätte Dietmar die Stärke besessen, sich seinem Schicksal zu stellen.«
»Aber …«
»Werdet Ihr mir den Liebesdienst erweisen, Lena? Für Rudolf sorgen, als wäre er Euer eigenes Kind?«
»Und Ihr?«
Die Gräfin atmete schwer. »Ihr sagtet, ich sei
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