Die Sündenheilerin (German Edition)
Gottes Werkzeug gewesen, um Dietmar heimzuholen. Vielleicht finde ich dort Frieden, wo auch Ihr ihn gefunden habt. Schwester Ludovika meinte, ich sei in Sankt Michaelis willkommen. Vor allem nach dem tragischen Heimgang der Schwester Margarita.«
Tante Margarita! Ein heftiger Schmerz durchfuhr Lenas Brust. Sie schloss die Augen, versuchte die Erinnerung an die durchschnittene Kehle und das blutleere, tote Gesicht fortzublinzeln. Philip hatte nicht gewollt, dass sie ihre Tante so sah, aber sie hatte darauf bestanden. Sie war es Margarita schuldig gewesen. Es war die richtige Entscheidung gewesen, auch wenn der Anblick sie immer noch verfolgte und ihr den Schlaf raubte.
Ich darf nicht weinen. Nicht vor Elise!, beschwor sie sich. Und doch konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Zu schwer wog der Verlust. Sie hatte Tante Margarita geliebt, die letzte Verbindung zu ihrer Vergangenheit. Tante Margarita, die alles getan hatte, sie und Philip zu einem Paar zu machen. Tante Margarita mit all ihrer Lebenskraft, die ihren eigenen Anteil daran trug, Philip zu helfen, die Schatten für immer zu vertreiben. Wie gern hätte sie ihre Tante bei ihrer Hochzeit zur Seite gehabt. Wie gern hätte sie gesehen, dass ihre Tante später ihr erstes Kind auf den Knien schaukelte. Wie gern …
Auf einmal war alle Stärke wie verflogen. Die Tränen übermannten sie, ließen sie alle Würde vergessen. Und da war es plötzlich Elise, die sie tröstend in die Arme nahm. »Könnte ich Euch doch nur den Schmerz abnehmen, den Ihr durch meine Schuld erleiden musstet«, flüsterte die Gräfin. »Aber ich kann es nicht. So wenig, wie ich meinem Kind eine fürsorgliche Mutter sein könnte. Es würde mich immer an meine Sünde und an meinen Verlust erinnern.«
In diesem Moment begriff Lena, was die Gräfin meinte. Ihre Gefühle waren noch immer erstarrt. Sie konnte einem Kind keine Wärme schenken.
»Ich verspreche es Euch, Elise. Ich werde mich um Rudolf kümmern, als wäre er mein eigenes Kind.«
Als wäre er mein eigenes Kind …
»Was sagt eigentlich dein Bräutigam dazu, dass du ihm schon vor der Hochzeit ein Kind ins Haus bringst?« Ludovikas gutmütiges Necken holte Lena in die Gegenwart zurück. Hastig schüttelte sie die Erinnerung an das letzte Gespräch mit Elise ab.
»Es war in seinem Sinne«, antwortete sie. Jedenfalls mehr, als Fürst Leopold den Lehnseid abzulegen. Aber das sprach sie nicht aus. Zu gut erinnerte sie sich daran, wie Philip dem Herzog feierlich die Treue schwor und dafür mit dem Grafentitel und Burg Birkenfeld belohnt wurde. Es hätte ein Triumph sein können, wäre da nicht Saids Gesicht gewesen, der mit unbewegter Miene die Zeremonie verfolgt hatte, die für ihn nur das Vorspiel des Verlustes seines besten Freundes gewesen war. Dennoch hatte er Philips Entscheidung mit keinem Wort in Frage gestellt. Genauso wenig, wie Philip jemals etwas gegen ihren Entschluss eingewandt hatte, Rudolf an Kindes statt anzunehmen.
Ludovika wiegte den kleinen Rudolf sanft in ihren Armen.
»Ist das Leben nicht seltsam?«, fragte sie. »Manchmal glaubt man zu wissen, wer der Engel ist und wer der Teufel. Und dabei war es von Anfang an genau andersherum.«
»Graf Dietmar war kein Teufel«, sagte Lena leise. »Er war ein Mann voller Ängste. Darüber vergaß er seine eigene Menschlichkeit. Gott wird seiner Seele vergeben und ihm Frieden schenken.«
»Du hast ihm vergeben?«
Lena nickte. »Ich hoffe, Elise wird ihm auch vergeben. Immerhin hatte sie seit seinem Tod keinen einzigen Anfall mehr.«
»Gott hat durch dich gewirkt. Ich wusste es von Anfang an.«
»Wenn er gänzlich durch mich gewirkt hätte, hätte Elise dann ihr Kind fortgeben können?« Lena strich über Rudolfs blondes Köpfchen.
Ludovika senkte den Blick. »Ich bringe ihn zu seiner Amme. Und du solltest dich sputen, oder willst du zu spät zu deiner eigenen Hochzeit kommen?«
»Das wäre einmal etwas anderes.«
Die junge Nonne runzelte die Stirn, dann verließ sie das kleine Zimmer.
Lena atmete tief durch. Nur noch wenige Stunden, dann wäre sie endlich Philips Frau. Sie sehnte sich nach dem Ende des Trubels, der schon seit Tagen in jeder noch so kleinen Gasse Halberstadts tobte. Die ganze Stadt bereitete sich auf die große Doppelhochzeit vor. Lena dachte an die vielen Empfänge, die hinter ihnen lagen. Für Johann war es am schwersten gewesen. Man sah ihm an, dass er noch immer unter den Folgen seiner Verwundung litt, aber den Vorschlag des Fürsten,
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