Die Sündenheilerin (German Edition)
große Haus beim Tor bestand nur noch aus verkohlten Balken. Ob wohl Unschuldige in den rauchenden Trümmern ums Leben gekommen waren? Du bist ein Narr, schalt er sich. Was kümmerst du dich um das, was war? Denk an Lena. Und doch konnte er seine Betroffenheit nicht vollständig abschütteln.
»Bist du es, Arndt? Wird Zeit, dass du kommst.«
Philip fuhr herum. Einer der Waffenknechte winkte ihm zu. Der Mann stand allein unter einem schmalen Mauervorsprung, der ihn nur unzureichend vor dem Regen schützte. Philips Hand glitt unter dem Mantel zum Dolch, als er nickte und auf den Mann zuging.
»Du bist es ja gar ni…« Ein schneller Stoß in den Kehlkopf, und der Mann schwieg für immer. Als Philip den Leichnam des Mannes näher an die Mauer heranzog, damit er nicht sofort bemerkt wurde, sah er eine frische Wunde an dessen rechter Hand. Der Abdruck menschlicher Zähne. Hatte er hier einen von Lenas Entführern oder gar Margaritas Mörder vor sich? Wie dem auch sein mochte, der Mann war tot.
Neben dem Mauervorsprung lehnte eine Leiter. Er griff nach dem feuchten Holz und kletterte auf den Wehrgang hinauf. Jetzt sah er Lena deutlich. Trotz der Kälte stand sie immer noch aufrecht, die Augen starr auf das Lager am Fuß der Burg gerichtet. Das dünne Hemd war vollständig durchnässt, haftete ihr am Leib, ebenso wie das lange Haar, das einen Teil ihres Körpers mit seinen nassen Strähnen bedeckte.
»Halt! Wer da?« Ein Mann löste sich aus dem Schatten der Zinnen. Philip zog sein Schwert. Doch diesmal war er nicht schnell genug. Der Mann hatte ebenso rasch seine Waffe gezogen und rief um Hilfe, während er Philips Attacke mühsam abwehrte. Es brachte nicht viel, dass Philip den Kampf sehr schnell für sich entschied. Von allen Seiten drangen die Verteidiger auf ihn ein. Lena war aufmerksam geworden, wandte ihm den Kopf zu. Er hastete auf den Pfahl zu, durchtrennte die Stricke, die sie hielten, mit seinem Schwert. Sie taumelte, er fing sie auf, löste seinen Mantel und warf ihn ihr über. Der erste Verteidiger erreichte ihn. Eisen schlug auf Eisen. Der Mann war kein Gegner für ihn, aber er war nur einer von vielen.
»Kannst du gehen?«, fragte er. Lena zog sich den Mantel fester um die Schultern und nickte. Da erst entdeckte er die Verletzungen in ihrem Gesicht. Vermutlich hätte sie immer genickt, gleichgültig, wie schlecht es ihr ging. Seine Wut auf ihre Entführer durchströmte ihn wie eine heiße Welle, ließ ihn den Regen nicht mehr spüren.
»Bleib immer hinter mir!« Sein Schwert fing abermals einen tödlichen Angriff ab, schlug eine Schneise in die Reihen der Angreifer. Geschrei vom anderen Ende der Burg. Jemand schlug Alarm in der Hauptburg. Die Männer zögerten. Sollten sie weiter gegen Philip kämpfen oder sich dort sammeln, wo sie augenscheinlich gebraucht wurden?
Philip griff nach Lenas Hand, zog sie über den Wehrgang hinter sich her, in der Rechten immer noch das blutige Schwert. Die Gegner wichen vor ihm zurück. Philip hörte Lenas keuchenden Atem, doch unbarmherzig zog er sie weiter, konnte ihr keine Rast gönnen oder sie tragen, wie er es so gern getan hätte. Noch immer brauchte er die freie Schwerthand. Sie erreichten die schmale Stiege, die vom Wehrgang in den Hof hinunterführte. Durch den Vorhang aus dichten Regentropfen blitzte ein heller Turban. Said! Dahinter ein rot-weißer Waffenrock. Leopold!
Der Kampflärm im inneren Burghof wurde immer lauter. Die Waffenknechte des Grafen rannten hin und her, unschlüssig, welchem Feind sie sich stellen sollten. War niemand da, der ihnen Befehle erteilte? Niemand von denen, die Philip gern vor sein Schwert gefordert hätte? Wo war Albrecht? Und wo der Graf?
»Philip!« Said lief ihm entgegen, beide Säbel in der Hand. Der Regen mischte sich mit dem Blut auf den Klingen. »Bring Lena in die Burg! Unsere Männer haben den Turm in ihrer Gewalt.«
»Wo ist der Graf?«
»Ich weiß es nicht. Nun komm schon, ich halte dir den Rücken frei.«
Philip schob sein Schwert zurück in die Scheide, dann hob er Lena kurzerhand auf die Arme, presste sie an sich und lief mit ihr auf Leopold und dessen Männer zu. Sie zitterte, ihre Zähne schlugen heftig aufeinander, aber sie lebte. Alles andere war unwichtig.
Im Prunkgemach des Grafen brannte ein warmes Feuer im Kamin. Philip setzte Lena auf den mit Lammfell belegten Stuhl vor das Feuer und durchsuchte den Saal nach warmen Decken. In einer Truhe wurde er fündig.
Leopolds Männer, die das Zimmer bewacht
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