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Die Sünderin von Siena

Die Sünderin von Siena

Titel: Die Sünderin von Siena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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verstanden? Sie haben schon mehr als genug gelitten. Was willst du, Lupo?«
    »Weißt du das denn nicht?« Sein Mund verzog sich zu einem dünnen Lächeln. »Ich bin gekommen, um dich endlich nach Hause zu holen. Und dieses Mal wirst du für immer bei mir bleiben, tesoro , das verspreche ich dir!«

    ❦
    Der Hüne mit dem leeren Kindergesicht starrte Lina so stumpf an, dass sie beinahe die Fassung verlor. Wieder und wieder hatte sie ihn mit ihren Fragen bestürmt, nur um jedes Mal aufs Neue die immer gleichen Antworten zu bekommen. Am liebsten hätte sie ihm die Öllampe an den Kopf geschleudert, um wenigstens irgendeine Reaktion von ihm zu erhalten.
    »Wusstest du, dass dieses ›Wasser des Lebens‹ Salz war?«, fragte sie mindestens zum dritten Mal.
    »›Wasser des Lebens‹ macht Kinder rein. Leo macht Kinder rein.«
    »Es macht sie nicht rein, sondern hat zwei von ihnen umgebracht und ein drittes beinahe! Warum hast du das getan, Leo?«
    »Macht Kinder rein. ›Wasser des Lebens‹ macht sie rein«, sagte er stumpfsinnig und schielte dabei zu Richter di Nero, der sich an der Türe postiert hatte.
    »Er scheint Angst vor dir zu haben«, sagte Lina. »Vielleicht sagt er mehr, wenn ich mit ihm allein bin.«
    »Ausgeschlossen! Er ist gefährlich …«
    »Du könntest doch mehr als froh sein, wenn er mich aus dem Weg räumt«, erwiderte sie scharf. »Ich will mit ihm allein sein. Wenigstens ein paar Augenblicke.«
    Widerwillig verließ der Richter die enge Zelle. Lina stieß einen tiefen Seufzer aus, dann wandte sie sich erneut an den Gefangenen.
    »Du musst jetzt ganz fest nachdenken, Leo«, sagte sie. »Versprichst du mir das? Dann werde ich dich in Frieden lassen. Doch zuvor brauche ich ehrliche Antworten.«
    Er schien zu überlegen, schließlich nickte er zögerlich.
    »Ich weiß, dass du meinen Kindern nichts tun woll test«, begann sie noch einmal ganz von vorn. »Du magst sie. Du spielst gerne mit ihnen.«
    »Kinder, ja!« Er begann zu grinsen. »Leo macht Pferdchen. Kinder spielen.«
    »Und dennoch hast du ihnen dieses ›Wasser des Lebens‹ eingeflößt, das sie so krank gemacht, sie getötet hat. Warum, Leo? Warum hast du das getan?«
    Seine niedrige Stirn legte sich in Falten. »Leo muss. Der padrone hat gesagt, Kinder müssen rein werden. Erst Junge, dann Mädchen. Aber wollten nicht …« Er verstummte.
    »Dann hat der padrone dir den Auftrag gegeben, den Kindern das salzige Gebräu einzuflößen?« Sie ließ sein Gesicht nicht aus den Augen. »Dein Herr Savo Marconi, der Apotheker?«
    Zunächst schien er nicht zu begreifen, dann aber schüttelte er den Kopf.
    Jetzt verstand sie gar nichts mehr. »Du hast aber doch gerade gesagt, dass der padrone …«
    »Der padrone , ja. Nicht Apotheker.«
    Lina rang nach Luft. Jetzt schien sie der Lösung des Rätsels ganz nah zu sein.
    »Es gibt also zwei Männer«, sagte sie. »Einer ist der Apotheker, der andere der padrone . Ist das richtig?«
    Er nickte.
    »Und wie heißt der padrone? «, fragte sie weiter. »Wie lautet sein Name?«
    Leos Augen waren so blank wie ein polierter Spiegel. Nichts war in ihnen zu lesen, weder Angst noch Mitgefühl oder Sorge.
    Er zuckte die Achseln und schwieg.
    »Leo?«, sagte Lina. »Ich hab dich etwas gefragt!«
    »Der padrone heißt … padrone … Hat Leo aus seinem Dorf geholt, als Leo noch klein war. So klein.« Die plumpen Hände deuteten in Brusthöhe.
    »Dann war dieser padrone dein früherer Herr?«
    »Nicht Herr. P adrone ist padrone .« Es klang abschließend. Leo schien allmählich die Lust an dieser Fragerei zu verlieren. Lina schaute zur Türe. Jeden Moment konnte der Richter wieder hereinkommen, spätestens dann konnte sie jede Hoffnung fahren lassen, doch noch etwas halbwegs Brauchbares aus Leo herauszubekommen.
    »Wie heißt er, Leo?«, wiederholte sie. »Er muss doch einen Namen haben! Denk bitte jetzt ganz fest nach! Ich weiß, du kennst den Namen!«
    Die Schultern waren schon wieder in Richtung Ohren halb in Bewegung, da ließ er sie unvermittelt sinken, hob den Kopf und stieß einen Heullaut aus, der verblüffend tierisch klang.
    »Der padrone ist ein Wolf?«, fragte Lina. »Willst du mir das sagen?«
    »Ja.« Der Hüne schien erfreut, dass sie ihn endlich verstanden hatte. »Löwe und Wolf. Beide groß und sehr stark. Beide oft allein. Hat der padrone immer gesagt.«
    Plötzlich waren alle Nebel verschwunden. Bei der allerheiligsten Jungfrau – es lag so klar, so eindeutig auf der Hand, und kein Mensch war

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