Die Sünderin von Siena
belastet dich schwer. Und was das Schlimmste ist, Barna glaubt ihm.«
»Ich soll Leo angestiftet haben, diese Kinder zu töten? Aber das ist blanker Unsinn, Enea! Niemals im Leben hab ich ihm das aufgetragen. Wir haben nicht einmal über die Kinder geredet.«
»Du hast ihn doch oft ins Hospital mitgenommen. Dort könnte er sehr leicht etwas aufgeschnappt haben. Jedenfalls hat er ihnen ein gewisses ›Wasser des Lebens‹ eingeflößt, das sie getötet hat. Auf deinen Befehl hin, wie er wieder und wieder sagt. Es sieht schlecht für dich aus, Savo. Sehr schlecht!«
Der Apotheker war grünlich vor Angst geworden.
»Du glaubst einem stadtbekannten Idioten mehr als deinem alten Freund?«, fragte er. »Du enttäuschst mich, Enea! Ich weiß von keinem ›Wasser des Lebens‹. Diesen Schwachsinn hab ich niemals zuvor gehört. Und Leo hat auf meine Anweisungen hin lediglich Arzneien in der Stadt ausgeliefert – niemals Gift. Ich weiß nicht, weshalb er sich das alles in seinem kranken Hirn zusammenspinnt, aber er lügt. Ich hab jedenfalls damit nichts zu tun! Das schwöre ich bei allen Heiligen.«
Der Richter verschränkte die Arme vor der Brust. »Und was ist mit den faulen Eiern, mit denen du Bernardos Engel beglückt hast?«, fragte er. »Ein paar von ihnen sind so krank geworden, dass sie auf Leben und Tod lagen. Hattest du damit auch nichts zu tun?«
»Doch, die Eier stammen tatsächlich von mir. Um die Horde für eine Weile außer Gefecht zu setzen, das war doch nur in unserem Sinn. Keiner ist daran gestorben; ihnen war ein paar Tage elend, nichts weiter. Du selber hast gesagt, wie gefährlich dieser Prediger ist – und seine jungen Burschen erst recht! Hast du schon vergessen, was er deinem Sohn angetan hat? Du solltest mir dankbar sein, anstatt solche haltlosen Anwürfe gegen mich ins Feld zu führen!« Seine Stimme überschlug sich beinahe. »Hol mich hier raus, Enea! Das bist du mir schuldig nach allem, was uns verbindet. Barna kann mich meinetwegen befragen, aber nicht in diesem Loch. Ich will zurück in mein Haus, zurück in den Palazzo Pubblico …«
»Du weißt, dass das unmöglich ist, Savo. Die Anklage wegen Mordes lastet auf dir, und Barna wird ein Geständnis von dir haben wollen, ob mit peinlicher Befragung oder ohne liegt allein bei dir.«
»Jetzt wollt ihr mich auch noch foltern lassen!«, schrie der Apotheker. »Um unter Qualen aus mir herauszupressen, was in euer Konzept passt? Sieh dich vor, Enea! Denn sollte das geschehen, werde ich alles gestehen. Alles ! Dann fahrt ihr mit mir zusammen in die tiefste Hölle.«
❦
Sie hatte den Einbruch der Dunkelheit abgewartet, um diesen Gang anzutreten, den sie niemals hatte gehen wollen. Und wäre nicht Gemma bei den Kindern geblieben, hätte Lina nicht einmal jetzt das Haus verlassen. So aber wusste sie alle in bester Obhut.
Von fern hatte sie das Haus des Richters schon einige Male betrachtet, doch als sie jetzt davorstand, kam es ihr größer und feindlicher vor als je zuvor. Sie straffte sich, überprüfte den Sitz von Umhang und Schleier und ließ den Klopfer gegen das Holz krachen.
»Ich bin Mamma Lina«, sagte sie zur älteren Dienerin, die öffnen kam, »und muss den Richter dringend sprechen – in einer wichtigen Angelegenheit.«
Die Dienerin rührte sich nicht, starrte sie nur stumm an.
»Es ist schon spät«, sagte Lina, »ich weiß. Aber es geht nicht anders. Wenn die Hausfrau …«
»Monna Bice wohnt jetzt im Haus der Mantellatinnen. Zusammen mit dem jungen Herrn.« Endlich kam Bewegung in die Frau. »Wartet hier! Ich gehe Bescheid sagen.«
Lina begann zu schwitzen, und die Zeit, bis die Türe sich wieder öffnete, erschien ihr unendlich lang. Doch die Dienerin kam schließlich zurück und ließ sie ein. Sie führte die Besucherin in ein Zimmer mit einem langen Tisch und freundlichen Fresken, das der Familie di Nero offenbar als Speiseraum diente. Wandlichter sorgten für eine angenehme Beleuchtung.
»Der Richter wird gleich hier sein«, sagte sie und zog sich zurück.
An seinen Schritten erkannte Lina ihn sofort, auch wenn er sich damals immer Rocco genannt hatte. Diese raschen, ungeduldigen Schritte, als könne es ihm gar nicht schnell genug gehen, endlich zu bekommen, wonach es ihn verlangte.
»Was willst du?«, herrschte er sie an, kaum hatte sich die Türe hinter ihm geschlossen. »Und welcher Teufel reitet dich, ausgerechnet hierherzukommen, in mein Haus?« Sein Blick war schneidend.
»Sie hat dich also verlassen?«,
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