Die Sünderinnen (German Edition)
ruinieren. Als ich Milton ausspionierte, erfuhr ich zudem, dass seine eigene Frau ihn verlassen wollte. Ein Wink des Schicksals. Dadurch wäre es mir fast gelungen, meinen moralischen Feldzug in einem genialen Finale zu beenden. Mit seiner Frau als Sühneopfer hätte ich ihn mitten ins Herz getroffen.«
Nachdenklich stellte Pielkötter seine Kaffeetasse ab. Die innere Logik der Täter überraschte ihn immer wieder. Zweifellos waren Burgmeisters Gedankengänge in gewisser Weise schlüssig, aber nur in einer Art Mikrokosmos, der nichts mit der gesellschaftlichen Realität zu tun hatte.
»Haben Sie sich nie ein anderes Leben vorgestellt?«
Burgmeisters Miene verdunkelte sich. Seine Schultern schienen einige Zentimeter nach unten zu sacken.
»Ursprünglich wollte ich Priester werden«, erklärte er mit veränderter Stimmlage. »Ich stand kurz vor der Weihe, als Luisa in mein Leben trat. Wegen ihr habe ich alles aufgegeben. Den geliebten Beruf, die Freunde am Priesterseminar, die Anerkennung durch die Professoren, die Liebe meiner Mutter, die mir diesen Schritt nie verziehen hat. Luisa meinte, der Treueschwur in der Ehe sei auch eine Art Gelübde. Ich habe ihr geglaubt, hätte nie gedacht, dass sie den Schwur brechen würde. Verstehen Sie jetzt?«
Pielkötter erinnerte sich plötzlich, bei den Fotos von der ersten Leiche an eine Art Kreuzigung gedacht zu haben. Warum hatte er den Täter nicht gleich in kirchlich-religiösen Kreisen gesucht? Stattdessen hatte er Mark Milton in die Zange genommen. Nachträglich tat es ihm leid.
»Meine Mutter ist Luisa niemals begegnet«, platzte Burgmeister in diese Überlegung. »Sogar die Hochzeit hat sie ignoriert.«
Unwillkürlich dachte Pielkötter an seinen Sohn. Plötzlich fühlte er sich ausgelaugt. Falls Burgmeister jetzt versuchen würde, seine gestörte Mutterbeziehung aufzuarbeiten, wollte er das Verhör für heute beenden.
Schweigend betrachtete Mark Susannes Gesicht. Zu gerne hätte er gewusst, was sich hinter ihrer hübschen Stirn abspielte. Warum hatte er Psychologie studiert, wenn er sich nicht einmal in der Psyche der eigenen Frau auskannte?
»Es ist vorbei«, sagte sie plötzlich, während sie einen imaginären Punkt an der Wand zu fixieren schien.
»Ja, es ist vorbei«, stimmte er ihr zu, obwohl er spürte, dass sie etwas ganz anderes meinte als er.
»Im Schatten einer toten Lea halte ich es nicht mehr aus«, erklärte sie. »Ich verlasse dich und nehme die Kinder mit. Natürlich kannst du sie so oft sehen, wie du willst. Um die Kinder darf es keinen Streit geben.«
Deine Eltern haben dir sicher schon die neue Luxuswohnung besorgt, hätte er am liebsten geschrien, aber was hatte das jetzt noch für eine Bedeutung? Er hatte gekämpft und verloren. Susanne hatte sich entschieden. Aufgewühlt schaute er in ihr Gesicht. Selbst ihr Blick drückte mehr Entschlossenheit aus als Trauer. Wo waren all die anderen Gefühle, die er früher so oft in ihren Augen gelesen hatte?
»Wann?«, fragte er, nur um das bedrückende Schweigen zu unterbrechen.
Eigentlich hegte er keinerlei Interesse an weiteren Details. Sie waren so unwichtig, wie alle Pläne, die er jemals mit ihr oder Lea geschmiedet hatte. Diesmal verlor er zusätzlich seine Kinder. Schmerzlich drang die volle Bedeutung dieser Erkenntnis in sein Bewusstsein.
»Morgen kommen die Leute von der Spedition und packen alles ein«, störte sie seine Gedanken.
Packen alles ein, packen alles ein, echoten ihre Worte in seinem Kopf. Genau hier liegt das Problem, dachte er wehmütig und auf irgendeine paranoide Art belustigt zugleich. Susanne lebte einfach in einer anderen Welt. Er würde seine Sachen selber packen, wenn er ausziehen wollte, sie ließ packen. Diese Kluft zwischen ihren Ansprüchen jedoch hatte nicht ihre Ehe zerstört, sondern seine eigene Unfähigkeit, sich angemessen mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. So viel wusste er inzwischen. Diese Erkenntnis jedoch kam für seine Ehe zu spät.
»Sobald du aus deiner Praxis kommst, ist alles geregelt«, sagte sie, als würde ihn das in irgendeiner Weise trösten.
Dabei schnürte ihm diese Vorstellung fast die Kehle zu. Genug der Worte. Reden brachte jetzt nichts mehr. Sie hatte alles gesagt, mehr als er momentan verkraften konnte. Jetzt wollte er nur noch raus hier. Raus aus dieser Wohnung, die er einst als eine Art Zufluchtsstätte empfunden hatte.
»Bis irgendwann also«, verabschiedete er sich mit belegter Stimme. Ohne ihre Reaktion abzuwarten
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