Die Süße Des Lebens
wie ihm Patrizia Fleurin Sebastian Wilferts zerstörtes Gesicht gezeigt hatte und dabei von einer Ausstrahlung gewesen war wie eine Botanikerin, die ihrem Publikum eine neue Orchideenart erklärt. Ich weiß nichts von ihr, dachte er, nicht, ob sie zu Hause einen Mann hat oder ein Aquarium oder Pflanzen in dicken Büchern presst.
»Und was hältst du von der Sache mit den Tieren?«, fragte Demski. »Dasselbe wie du«, sagte Kovacs, »jugendliche Psychopathen zündeln, pissen nachts ins Bett und quälen Tiere. So spricht das Lehrbuch.«
»Und wenn ihnen ein alter Mann in die Quere kommt, muss er dran glauben und nicht der Hund.«
»Genau.« Ludwig Kovacs erzählte nichts davon, dass er Mauritz unter der Hand gebeten hatte, die abgebrochene Stanleymesserklinge, die im Hals des fetten Reithbauer-Hundes gesteckt war, genauer zu untersuchen, und dass Mauritz neben jeder Menge Hundeblut und Collie-Mischlings-Haaren eine einzelne dunkelgrüne Wollfaser gefunden hatte. Die Angelegenheit war nicht offiziell, da das Töten von Tieren unter Sachbeschädigung fiel und dafür die Kriminalpolizei nur in Ausnahmefällen zuständig war. Eyltz, der Polizeichef, nahm solche Abgrenzungsfragen in der Regel sehr ernst.
Sie sprachen noch einige Sätze über Ernst Maywald, über seine Körperkraft und seine großen Hände, über das offenbar chronisch angespannte Verhältnis zu seinem Schwiegervater und über die Frage, welche Rolle dabei seine Funktion als Betriebsrat und sozialistischer Gewerkschafter im Holzwerk gespielt haben mochte. In den Einvernahmen der Familie war jedenfalls das Konflikthafte in dieser Beziehung nie ausgespart worden und vor allem Georg hatte bereitwillig über die Streitereien zwischen Vater und Großvater erzählt. Unter anderem war es um die Art der Neueindeckung des Hauses oder um den richtigen Zeitpunkt des Brennholzeinschlages gegangen. Es war nie auch nur annähernd eine Dimension erreicht worden, die als Erklärung für einen Mord ausgereicht hätte. »Christbäume schlägt man am besten bei Vollmond«, sagte Demski, »da bleiben sie am längsten frisch.«
»Das behaupten zumindest die Christbaumhändler.« Kovacs dachte an die winzige Tanne mit den drei Silberkugeln und zehn Lamettafäden, die Sebastian Wilfert auf seiner Kommode stehen gehabt hatte, und er stellte sich vor, dass Yvonne und Charlotte seit neuestem einen Plastikbaum besaßen, den sie am sechsten Jänner zerlegten und in eine Schachtel packten, damit er nicht verstaubte.
Auf der Severinbrücke war es eisglatt. Demski drosselte vorsichtig das Tempo. »Laut Wetterbericht sollte es schon wärmer sein«, sagte er. »Ich spüre noch nichts«, antwortete Kovacs.
Konrad Gasseliks bronzefarbener Range Rover stand zwischen anderen Fahrzeugen auf dem Parkplatz, ein Mann in einem grünen Overall mit neongelben Signalstreifen hackte Altschneereste von der Asphaltfläche, an den meisten Fenstern des Wohntraktes waren die Vorhänge noch zugezogen. »Sie sparen Strom«, sagte Demski und deutete auf einen der Beleuchtungsmasten. Nur jeder zweite Halogenstrahler war eingeschaltet. Die Wachheit, die sich im entscheidenden Moment von selbst einstellte. Ludwig Kovacs betrachtete George Demski von der Seite: Eine schlammfarbene Raulederjacke mit gewachsenem Fellkragen, eine frisch gebügelte Hose, stets der korrekte Kurzhaarschnitt. Trotz alledem würde er ihm einmal nachfolgen. »Warum grinst du so?«, fragte Demski. »Ich habe an die Blechente gedacht, die du hinten in deinem Auto liegen hast«, antwortete Kovacs. Demski kniff ein Auge zu und sagte nichts. Ob er rot geworden war, konnte man nicht erkennen.
Manuela Gasselik öffnete ihnen. Sie trug einen hellblauen Bademantel, hatte ein weißes Baumwolltuch mit Fransen eng um den Hals geschlungen und ihr Haar zu einem lockeren Knoten hochgesteckt. Ein winziges Erschrecken huschte über ihr Gesicht, dann entspannte sie sich wieder. »Ich kenne Sie«, sagte sie und lächelte. Kovacs nickte und streckte ihr die Hand entgegen. »Er ist in seinem Zimmer«, sagte sie.
Im Vorzimmer roch es nach Zigarettenrauch. An der Garderobe hing ein dicker Packen Mäntel und Winterjacken. Aus der Küche drang Radiomusik. Durch die offene Tür sah er einen blonden Buben am Tisch sitzen und Cornflakes essen. Er war kurz irritiert. »Björn. Sein Bruder«, sagte Manuela Gasselik. Der Bub hob den Kopf für einen Moment und blickte ins Leere.
Vor der dritten Tür in der gangartigen Fortsetzung des Vorzimmers blieben sie
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