Die Süße Des Lebens
stehen. Sie legte die Hand auf die Schnalle. Kovacs fiel ihr in den Arm. »Wo ist Ihr Mann?«, fragte er halblaut. Sie hob den Blick und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht mit einem Kunden weggefahren. Brauchen Sie ihn?« Er zögerte kurz. »Eventuell später«, antwortete er. Warum habe ich das Gefühl, den Mann zu brauchen?, dachte er. Er schaute zu Demski hinüber. Der war offenbar gespannt wie eine Bogensehne.
Daniel Gasselik saß mit dem Rücken zur Tür auf seinem Schreibtischstuhl. Er nahm die Finger von der Computertastatur, griff in seinen Nacken, zog sich die Kapuze des dunkelgrauen Sweatshirts über den Kopf und drehte sich langsam um. Er grinste. Keiner sagte ein Wort. Er hat sich kaum verändert, dachte Kovacs, er ist nicht größer geworden, nicht dicker und es ist ihm kein Bart gewachsen. Er merkte, wie er darüber verblüfft war. Man erwartet offenbar, dass das Gefängnis Spuren hinterlässt, dachte er. »Wie geht es Ihrem Sohn, Herr Demski?« Auch die Stimme war immer noch hell und kratzig wie bei einem Dreizehnjährigen.
»Warum hältst du deine Bewährungsauflagen nicht ein?«
»Er kommt im Herbst in die Schule, ist es nicht so?«
»Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«
»Ich interessiere mich halt. Sie interessieren sich auch für meine Bewährungsauflagen.«
»Na und!?«
»Grimm ist ein unfähiges Arschloch.«
»Woher willst du das wissen?«
»Würden Sie sich von Grimm betreuen lassen?«
Kovacs wurde unruhig. Demski muss lernen, nicht mehr in diese Art von Fallen zu tappen, dachte er. »Du kennst doch diese Befragungsspiele«, sagte er zu Daniel Gasselik, »sie laufen in der Realität genau so ab wie im Fernsehen: Wo waren Sie dann und dann? Wer kann es bezeugen? Also: Kannst du dich erinnern, wo du am späten Abend des sechsundzwanzigsten Dezember warst?«
»Hier.«
»Was heißt ›hier‹?«
»Hier in diesem Zimmer.«
»Du warst allein, nehme ich an.«
»Nein, mein Bruder war bei mir.«
»Was habt ihr getan?«
»Wir haben gespielt. So wie immer.«
»Warum weißt du dann so genau, dass du hier warst?«
Daniel Gasselik schloss die Augen und machte die Geste des Kehledurchschneidens. Es gehe doch um die Nacht, in der dieser alte Mann umgebracht worden sei, oder? Kovacs sagte nichts. ›Traumverloren‹, dachte er, er schließt die Augen und mir fällt dieses Wort ein. Demski verschränkte die Arme und ballte die Fäuste unter den Achseln. In der Zeitung sei gestanden, man habe dem Mann zuerst die Kehle durchgeschnitten und dann den Schädel zu Brei zerstampft, ob das stimme. Kovacs starrte an der grauen Kapuze vorbei in Richtung Computer. Der Bildschirmschoner hatte sich eingeschaltet. Drei Köpfe aus ›Star Wars‹, die nacheinander erschienen und wieder verschwanden: Darth Maul, der Imperator, Darth Vader. Er habe sich von Anfang an gefragt, wie sich das anfühle, einen Schädel zu Brei zu zerschlagen, wie man es in den Handflächen spüre, wenn man den Hammer niedersausen lasse und der Knochen leiste für eine Zehntelsekunde Widerstand, bevor er nachgebe. Er habe sich das immer wieder vorgestellt, inzwischen sicher hundertmal, wie man nach unten blicke und das Blut sprudle noch aus dem Schnitt im Hals und die Stirn oder die rechte Gesichtshälfte sei schon ganz eingedrückt und wie einen dann der Zwang erfasse, noch einmal zuzuschlagen und ein drittes und viertes Mal, so lange, bis vom Original nichts mehr zu erkennen sei.
»Das Beste ist das Geräusch«, sagte Gasselik, »wissen Sie, wie es sich anhört, wenn ein Knochen bricht? Wissen Sie, wie einem das durch und durch läuft? Davon kommst du nicht mehr los.« Kovacs fiel das Sirren der Lichtschwerter in den Star-Wars-Filmen ein, das Mini-Schwert von Yoda und jene Szene, in der Darth Maul, durch einen Hieb von Anakin Skywalker zweigeteilt, in diesen unendlichen Schacht stürzt.
»Ist es bei Tierknochen dasselbe wie beim Menschen?«, fragte Demski. Gasselik stutzte, dann lachte er auf. »Gänse, Katzen, Hunde, Meerschweinchen – das war leider auch nicht ich«, sagte er.
»Sicher nicht?«
»Sicher nicht.«
»Wer sonst?«
»Bin ich die Polizei oder sind Sie es? Außerdem ist das für Sie sowieso schlimmstenfalls Sachbeschädigung.«
»Wer, glaubst du, könnte so etwas tun?«, fragte Kovacs. Gasselik ließ beide Mittelfinger knacken. Dann schob er die Hände unter seine Oberschenkel. »Irgendein Psycho«, sagte er, »jemand, der Stimmen hört oder auf Befehl einer höheren Gewalt
Weitere Kostenlose Bücher