Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
Maria!“
„Eigentlich wollte ich dir was aus dem neuen Laden mitbringen, aber die Tür ist verriegelt und darüber klebt ein Siegel der Regierung.“
„Wirklich?“
„Ja“, sagte Lisandra. „Herr Gabel hat gesagt, die Beamten hätten den drachengesichtigen Besitzer verhaften wollen, aber der ist vor drei Tagen getürmt!“
„Genau vor drei Tagen?“
Scarlett nickte.
„Ich hab auch schon überlegt, ob es was mit dem Überfall auf Rackiné und die Bande zu tun hat.“
„Aber das ist doch total konstruiert“, widersprach Lisandra. „Der Drachenmann bricht in Sumpfloch ein, verzaubert die Bande, macht Rackiné ohnmächtig, lässt seinen Laden im Stich und türmt? Wozu denn?“
Darauf wusste keine von ihnen eine Antwort. Thuna gönnte sich den letzten Bissen ihres Trüffelröhrlings, der im Mund schmolz und zerging und dabei einen tiefsüßen und gleichzeitig herben, interessanten Geschmack hinterließ. Dann pickte sie die letzten Krümel von ihrem Teller, trank ein riesiges Glas Wasser und atmete tief durch.
„Ich muss euch auch etwas erzählen“, sagte sie. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Jedenfalls, Lissi, hast du angeblich kein eigenes Talent, sondern …“
„ Wie bitte? Wer sagt das?“
„Tja … wer sie gewesen ist, weiß ich auch nicht. Es war so eine Art Orakel, das mit Nixengold funktioniert.“
Die Mädchen starrten Thuna an, aber außer den Mädchen starrte noch jemand. Thuna fühlte es mehr als dass sie es sah. Als sie aufblickte und zum Lehrertisch hinüberschaute, um sich zu vergewissern, bestand kein Zweifel mehr. Grohanns braune Augen blickten in ihre Richtung, als habe er gehört, was sie gerade gesagt hatte. Für einen kurzen Moment verweilten Thuna und Grohann in diesem Blickkontakt, der Thuna verwirrte. Es war, als würde Grohann in einem Bruchteil von Zeit eine wortlose Unterhaltung mit ihr führen, aber sie wusste nicht, worüber. Jedenfalls nicht mit dem Verstand. Hätte sie beschreiben sollen, was sie fühlte, hätte sie gesagt: Er macht sich ein Bild darüber, was heute Nachmittag passiert ist, und ich hindere ihn nicht daran, zu wissen, was ich weiß. Vielleicht – aber das war ein sehr komischer Gedanke – war es das Nixengesicht, das sich gerade mit Grohann unterhielt
Dann war es vorbei. Grohann hörte auf, in ihre Richtung zu schauen, und Thuna merkte deutlich, wie der Austausch von Gedanken oder Bildern, der zuvor stattgefunden hatte, beendet war. Wie lange hatte das gedauert? Die Mädchen am Tisch hatten nichts gemerkt. Vielleicht war das alles in einer Sekunde passiert, obwohl es Thuna so langsam erlebt hatte, als wären es Minuten gewesen.
Sie wollte es schnell vergessen und den Freundinnen Bericht erstatten, doch etwas in ihr, eine leise Stimme, die sie normalerweise nicht beachtete, seufzte. Was hatte dieser Regierungszauberer nur an sich, dass Thuna jedes Mal wie verhext war, wenn er seine Aufmerksamkeit auf sie richtete? Verzauberte er sie, um sie besser aushorchen zu können? Das war das Wahrscheinlichste. Aber die leisen Seufzer von Thunas innerer Stimme wollten davon nichts wissen. Sie besangen eine andere Geschichte.
Kapitel 10: Im Schatten des Löwen
Lisandra konnte sich gar nicht darüber beruhigen, dass sie angeblich kein Talent besaß. Fast bereute es Thuna, dass sie die Nixe gefragt und Lisandra von der Antwort erzählt hatte.
„Ich kann doch fliegen oder etwa nicht?“, schimpfte sie am nächsten Morgen, als die anderen Mädchen noch gar nicht richtig aufgewacht waren. „Bei wem sollte ich mich da bedient haben? Kann irgendwer von euch fliegen? Hab ich vielleicht was verpasst und Scarlett hat sich schon mal in eine Krähe verwandelt?“
„Mach doch nicht so einen Krach!“, jammerte Maria und zog sich das Kopfkissen über den Kopf.
Scarlett überlegte hin und her, genauso wie sie es schon vorm Einschlafen getan hatte. Sie war eine böse Cruda und ihre Freundinnen wussten nichts davon. Scarlett konnte sich ganz bestimmt in eine Krähe verwandeln. Sie müsste nur einen bösen Wunsch mit diesem Vorhaben verknüpfen. Aber sie hatte es noch nie versucht, da es ihr zu gefährlich erschien. Auch Viego Vandalez hatte ihr von solchen Experimenten dringend abgeraten.
„Denk doch mal nach, Lissi“, sagte sie. „Wann bist du das erste Mal geflogen?“
„Nachdem ich von dem giftigen Pfeil getroffen worden bin. Im Nadelfrostgebirge.“
Thuna rieb sich müde die Augen. Sie hatte die Nacht zusammengerollt auf dem oberen Drittel
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