Die Sumpfloch-Saga Bd. 3 - Nixengold und Finsterblau
rief Perpetulja freudig. „Das Nixengold lockt es an die Oberfläche.“
Im Schein des blauen Lichts sah Thuna, wie die Nadel des Grammofons über die goldene Platte wanderte und aus dem Grammofontrichter einzelne Fische geschwommen kamen. Es waren aber keine echten Fische, sondern Geisterfische, die einer anderen Zeit entstammten. Silbrig wie Mondschein und golden wie das Sonnenlicht schwammen sie um das Grammofon im Kreis herum und verwandelten den Ort unter der Baumwurzel-Kuppel in einen flackernden, unwirklichen Traum. Noch märchenhafter wurde es, als aus dem Grammofontrichter eine Nixe tauchte, die so unnatürlich schön und feingliedrig war, dass Thuna fast alles um sich herum vergaß. Wie damals im Feensturm, den sie in Burg Wanderflügel entfesselt hatte, kamen ihr die meisten Gedanken abhanden. Sie starrte nur dieses Geschöpf an mit seinem Fischschwanz aus blaugrünen Schuppen und den hellen, fast weißen Haaren, die das schöne Gesicht umflossen. Die Augen der Nixe waren durchsichtig wie Glasperlen mit einer schwarzen, geheimnisvollen Mitte. Das ebenmäßige, alterslose Gesicht bewegte sich auf Thuna zu, bis es wie ein Spiegelbild vor Thunas Augen stand.
„Drei Fragen kannst du mir stellen“, sagte die Nixe mit bleichen, zarten Lippen. „Doch überlege nicht lange und schmiede keine Pläne. Die Fragen müssen aus deinem Herzen kommen, sonst verstehst du die Antworten nicht!“
Gebannt starrte Thuna in das wunderschöne Gesicht. Ihr Kopf war leer, wie hätte sie sich Fragen ausdenken können? Mühsam versuchte sie sich daran zu erinnern, was gerade am wichtigsten war.
„Amuylett“, brachte sie hervor, „wird es sterben, wenn der Gefangene freikommt?“
„Ich kann nicht in die Zukunft sehen, ich erkenne nur die Gegenwart“, antwortete die weiche Stimme der Nixe. „Ich sehe, dass dein Schicksal mit Amuylett verwoben ist. Dir und Amuylett mag es ergehen wie einer Knospe im Winter. Wahrscheinlich erfriert sie, doch diese Aussicht hält sie nicht davon ab zu warten und zu hoffen. Sie wird nicht aufgeben, bis der Tod sie holt oder der Winter dem Frühling erliegt.“
Wie einfach und leicht diese Worte über die feinen, hellen Lippen der Nixe kamen. Dabei bedeuteten sie etwas Schlimmes und Schwieriges. Hätte Thuna nicht das Gefühl gehabt, dass sie eigentlich träumte, wäre sie viel erschrockener gewesen. Doch so blickte sie in das Gesicht der Nixe und nahm die Antwort gefasst zur Kenntnis. Gleichzeitig stieg die nächste Frage in ihrem Inneren auf. Es war eine undeutliche Frage, die Liebe betreffend. Aber was wollte sie eigentlich wissen? Ob Lars sie liebte? Das war ja lächerlich! Nein, diese Frage wollte sie nicht stellen. Das wäre Verschwendung gewesen. Stattdessen musste sie etwas Sinnvolles fragen. Etwas, das hilfreich war …
„Wie kann ich Rackiné wieder aufwecken?“, fragte sie, denn das war das Erste, was ihr einfiel, nachdem sie Lars aus ihren Gedanken verbannt hatte.
„Das ist ganz einfach“, antwortete die Nixe mit einem Lächeln auf den Lippen. „Gib ihm einen Kuss!“
Thuna schüttelte ungläubig den Kopf. Hier war etwas gewaltig durcheinandergeraten! Sie hatte an Lars gedacht und eine Frage nach Rackiné gestellt. Und jetzt war so etwas Unsinniges dabei herausgekommen! Bei der nächsten Frage durfte sie keinen Fehler machen. Tatsächlich fiel ihr auch gleich etwas ein. Die Frage hatte etwas mit Lisandra zu tun. Gerald hatte gesagt, eine Begabung wie die von Lisandra habe es noch nicht gegeben. Bestimmt war es wichtig herauszufinden, was Lisandra wirklich konnte.
„Was genau ist Lisandras Talent?“, fragte Thuna.
„Lisandra hat kein eigenes Talent“, antwortete die Nixe. „Sie bedient sich der Talente anderer.“
Thuna sah die Nixe fragend an. War das alles?
„Ich habe deine drei Fragen beantwortet“, sagte die Nixe in sanftem, singendem Tonfall. „Leb wohl!“
Die Nixe lächelte anmutig, dann wandte sie sich ab, um so geistergleich in den Trichter des Grammofons zurückzukehren, wie sie herausgekommen war. Ihr folgten die goldenen und die silbernen Fische und als der letzte Fisch verschwunden war, hob sich der Arm des Plattenspielers und die Nadel hörte auf, die goldene Platte zu berühren. Das blaue Licht, das aus Thuna geströmt war, verlor sich langsam im Dunkel und im schwindenden, blauen Flackern sah Thuna, dass die Kurbel am Grammofon aufgehört hatte, sich zu drehen. Ebenso wie der Plattenteller, auf dem die Platte aus Nixengold lag. Vorbei. Der
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