Die Tänzerin auf den Straßen
keine Blasen. Vielleicht, weil ich meine seelischen Wunden fühlte und die Seelenblasen aufstach?
Ich suchte meinen Gehrhythmus, was nicht leicht war. Solche langen Strecken lief ich sonst nicht. Täglich immer wieder laufen, laufen...
An diesem Tag, dem vierten Wandertag, schaffte ich zwanzig Kilometer, über Stock und Stein bergigen Baskenlandes, in der größten Glut von dreißig Grad.
Was machte ich da eigentlich? Wieder die Frage, was das Gelaufe soll. Zu Hause gab es so viel zu tun. Eigentlich hatte ich keine Zeit hier herumzulaufen. Mein Verdrängungsmechanismus setzte ein, indem ich zynisch wurde.
In der Herberge jammerten die Pilger über ihre kaputten Füße, Rücken, Muskeln... Ich konnte es nicht ertragen. Aufs Bett und Augen zu ich hatte mit mir zu tun, wollte und konnte keinem helfen. Später suchte ich eine Kneipe auf und ertränkte meine Gefühle und Zweifel im roten Wein. Zwei Gläser reichten... Die anderen Pilger waren nicht besser dran. Ihre Gesichter verrieten, was mit ihnen los war.
H erb ist der Wein,
der heute Nacht
all meine Tränen trinkt...
Zerrissen vom Geschrei der Meute,
fallen sie auf die Flügel der Schwalben,
die in den Nachthimmel steigen,
wo entlang der Milchstraße
mein Heimweh verweht,
leise wie ein Bienensummen.
Ich sah einen jungen Mann, etwa zwanzig Jahre alt, der mir auffiel, weil er keinem anderen in die Augen schaute und einen schweren Rucksack mit Gitarre obenauf schleppte. Den Rücken gebeugt bis zur Erde, lief er, ohne aufzusehen. In der Kneipe schrieb er. Etwas zog mich zu ihm hin, etwas wie ein Geheimnis. Doch er war unnahbar, das verschaffte mir Respekt. Ich wagte nicht, ihm näher zu treten und eine Frage zu stellen.
Gehen... gehen...
Draußen war eine warme Nacht. Mir schmerzten die Hüften, der Rücken, alle Muskeln. Die Spanier, einschließlich der Kinder, verbrachten den Samstagabend auf den Straßen — lärmend, lachend, spielend und immer neugierig wegen der Fremden. Puenta la Reina, der Ort mit der wunderbaren alten Brücke. Hier vereinen sich die verschiedenen Wege zum großen Camino. Am nächsten Tag übte ich, genau auf den Weg zu achten. Schritt... Schritt... Ich wich den Pilgern aus, die mit mir reden oder laufen wollten. Noch war ich nicht offen genug, hatte mit mir und der Selbstbeobachtung zu tun. Der Weg unter meinen Füßen zeigte sich als große Herausforderung. Steine und Felsen, Staub und Dreck, bergauf, bergab... Den Blick immer schön nach unten gerichtet, verlangte jeder Schritt die volle Aufmerksamkeit.
Also hat Spiritualität mit der Erde zu tun, mit dem bewussten Auftreten, mit den Schritten auf dem Weg? Von Zeit zu Zeit bleibt man stehen, um innezuhalten und sich nach den Sternen und dem Himmel auszurichten.
Ich schenkte meine ganze Wachheit der Natur. In diesem Teil Spaniens gab es Mandelbäume mit erntereifen Früchten, Wein, Äpfel und vor allem Feigen. Wir aßen uns satt, vor allem die Pilger, die ohne Geld unterwegs waren und sich vom Leben, der Natur und den Menschen ernähren ließen, was auch funktionierte.
Ich traf auf einen schönen jungen Mann, einen Amerikaner, etwa dreiundzwanzig Jahre alt, groß, dunkelhaarig und von sich überzeugt, vor allem aber von der Liebe Gottes. Er predigte von dieser Liebe in den höchsten Tönen und zog jede Menge Pilger an, vor allem Frauen. Vermutlich solche, die nicht so sehr an diese Liebe glauben konnten. Er lebte gut von seinem Predigen, zumal er ohne Geld unterwegs war, wie er behauptete. Jedenfalls brachte ihm jede Rede eine beträchtliche Menge an Euroscheinen ein. So schlau muss man sein. Aber ich sah, dass er selber offenbar sehr von der Liebe Gottes überzeugt war, denn er lief gut gelaunt und singend seinen Weg.
Die spanischen Einwohner sind ruhige, gelassene Menschen, die an Pilger gewöhnt sind. Für mich war es wunderbar, Nordspanien zu Fuß zu durchwandern, den Menschen in Augenhöhe zu begegnen. Sprachlich konnte ich mich nicht verständigen. Also versuchte ich es mit Händen und Füßen und den Augen. Es funktionierte.
Hier empfand ich die Menschen als schön und natürlich, besonders die alten. Diese direkte Einfachheit ging mir ins Herz. Nichts Künstliches, Aufgetragenes... Ich war berührt. Dazu kam die Wohnkultur in den alten Dörfern.
Sonntag. Noch war ich im Baskenland. Stimmung machte sich breit in allen Gassen des Dorfes. Es roch nach gebratenen Eiern und Kaffee... Heimweh... Mit jemand frühstücken... Ach, wie schön ist Sicherheit und gewohnte
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