Die Taeuschung
neuerdings
so gehen lassen? Er meinte zu wissen, daß das früher besser
gewesen war. Zumindest hatte sie stets nach Seife und
manchmal sogar nach etwas Parfüm gerochen, sie hatte sich die
Haare gekämmt und dann und wann etwas Lippenstift
aufgetragen. Aber neuerdings war sie schlampig und
unappetitlich, und er hätte ihr gern gesagt, daß dies sicher die
falsche Art war, auf die Frustrationen und Niederlagen in ihrem
Leben zu reagieren. Aber irgendwie hatte er keine Lust dazu.
Es war nicht seine Sache. Sie war nicht seine Frau. Letztlich
ging es ihn nichts an.
»Bin ich zu spät?« fragte sie hektisch. »Ich habe meine Uhr
daheim vergessen und mich nur an meinem Zeitgefühl
orientiert.«
»Dann funktioniert dein Gefühl einfach perfekt«, meinte er
in forcierter Munterkeit, »du kommst auf die Minute.«
Cathérine seufzte erleichtert und strich sich die verklebten
Haare aus der Stirn. Als sie den Arm hob, setzte sie eine neue
Duftwolke frei.
Vielleicht ist ihr einfach das Deo ausgegangen, dachte er,
und morgen kauft sie ein neues.
Er hatte den Tisch vorn im Gastraum gedeckt, mit weißer
Tischdecke, frischen Blumen, Stoffservietten und den bemalten
Keramiktellern, die sie so gern mochte. Er hatte eine
Gemüsesuppe mit Croutons vorbereitet, danach selbstgemachte
Ravioli mit einer Käsefüllung und cremiger Tomatensoße, ein
leichtes Fischgericht und zum Nachtisch eine creme caramel. Aber obwohl er mit einer gewissen Hingabe und guten Laune
gearbeitet hatte, machte ihm die ganze Angelegenheit plötzlich
keinen Spaß mehr, und er hoffte, sie würde rasch essen und
dann wieder gehen.
»Ich war noch bei einem Makler«, erklärte sie, »deshalb ...«
Sie ließ den Satz unbeendet, als müsse er wissen, wofür ihr
Maklerbesuch eine Erklärung war, aber er wußte es nicht und
sah sie nur fragend an.
»Ich meine, ich bin nicht direkt von daheim
hierhergekommen«, fügte sie hinzu, »sonst wäre die
vergessene Uhr ja kein Problem gewesen.«
»Was? Ach so, ja. Nun, sie war auch so kein Problem, denn,
wie gesagt, du bist außerordentlich pünktlich.« Sie machten, so
schien es ihm, auf eine schrecklich verkrampfte Art
Konversation. Als ob sie sich nicht seit Babytagen kannten,
sondern zwei Menschen seien, die einander wenig zu sagen
hatten, aber aus irgendeinem Grund höflich zuvorkommend
miteinander umgehen mußten.
»Setz dich doch schon mal. Ich bringe gleich die Suppe.«
Er schöpfte die Suppe in die Teller, schenkte den Wein ein.
Die Sonne schien hell genug, so daß er darauf verachten
konnte, die Kerzen anzuzünden; obwohl er sie zuvor dien zu
diesem Zweck auf dem Tisch plaziert hatte, war er n in froh,
daß sie überflüssig waren.
»Wo ist Nadine?« fragte Cathérine, nachdem sie beide fünf
Minuten lang schweigend gelöffelt hatten.
»Bei ihrer Mutter«, antwortete er fast mechanisch denn
schließlich war sie praktisch immer bei ihrer Mutter, aber in
der nächsten Sekunde fiel ihm ein, wie oft es wohl in den
letzten Jahren vorgekommen sein mochte, daß er sie bei ihrer
Mutter vermutet hatte, während sie in Wahrheit in den Armen
ihres Liebhabers lag, und ein leises Stöhnen kam über seine
Lippen.
»Wird sie wieder hierherkommen?« Cathérine tat so, als sei
dies eine völlig normale Frage, so als sei es tatsächlich fraglich,
ob Nadine je zurückkehren würde, und dies entrüstete ihn. Wie
selbstgerecht sie war, und wie anmaßend.
Als ob sie zur Familie gehörte. Ihm fiel etwas ein, das
Nadine oft gesagt hatte, wenn sie – wieder einmal – wegen
Cathérine stritten.
»Es geht ihr um Macht. Und zwar Macht über dich! Sie wird
immer alles tun, ihren Fuß in unserer Tür zu halten. Sie wird
immer versuchen, mitzureden, sie wird sich immer
einmischen.«
»Natürlich kommt Nadine zurück«, sagte er mit Schärfe in
der Stimme, »sie ist meine Frau. Sie wohnt mit mir in diesem
Haus. Weshalb sollte sie von einem Besuch bei ihrer Mutter
nicht zurückkommen?«
Cathérine war unter seinen Worten zusammengezuckt, hob
den Kopf, wollte zu einer Erwiderung ansetzen,, schluckte sie
aber hinunter. Sie legte ihren Löffel zur Seite, obwohl ihr
Teller noch nicht leer war, und fragte: »Möchtest du nicht
wissen, weshalb ich einen Makler aufgesucht habe?«
Tatsächlich hatte er zwar das Wort Makler registriert, sich
jedoch keinerlei Gedanken darüber gemacht. Nun erst fiel ihm
auf, daß es wirklich eigenartig war: Was hatte Cathérine mit
einem Makler zu tun?
»Und?« fragte
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