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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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war?« wiederholte Bertin
ungläubig.
»Laura ... ich meine, Frau Simon hat Ihnen wohl nichts
gesagt?«
»Ich würde nicht derart im dunkeln tappen, wenn sie es
getan hätte«, sagte Bertin ungeduldig.
»Wahrscheinlich ist es ihr peinlich ... sie wollte es
geheimhalten ... ich denke aber, ich muß die Dinge beim
Namen nennen.«
»Dazu würden wir Ihnen sehr dringend raten«, erwiderte
Duchemin grimmig.
Christopher knetete seine ineinander verkrampften Hände.
»Ich wußte, daß Peter Simon gar nicht vorhatte, mit mir zu
segeln. Schon seit längerer Zeit diente ihm unser früher
üblicher herbstlicher Segeltörn nur noch als Ausrede. Als
Ausrede seiner Frau gegenüber. In Wahrheit verbrachte er die
Zeit mit ... Nadine Joly.«
Es gelang den beiden Beamten nicht, ihre völlige
Verblüffung zu verbergen.
»Mit Nadine Joly?« fragte Bertin ungläubig, während
Duchemin gleichzeitig fassungslos fragte: »Nadine Joly vom Chez Nadine?«
Christopher nickte. »Er war mein Freund«, sagte er hilflos
und unglücklich, »ich konnte ihn nicht verraten. So schlimm
und entsetzlich ich fand, was er da tat – aber ich konnte ihm
nicht in den Rücken fallen.«
»Das würden wir jetzt alles gern ganz genau wissen«, sagte
Bertin, und Christopher lehnte sich zurück, eine Spur
entspannter in Erwartung all der vertrauten Fragen, die jetzt
kommen würden: Seit wann? Wer wußte davon? Woher wußte
er davon? Hatte Laura Simon eine Ahnung gehabt? Und, und,
und ...?
Und zum Schluß, auch darauf hätte er jederzeit gewettet,
würden sie nach Camille Raymond fragen. Sein Vorsprung
bestand darin, daß er immer schon ganz genau wußte, was als
nächstes kam.
6
    Pauline war sicher, daß jemand vor dem Wohnzimmerfenster
gewesen war. Sie schaute auf die Uhr: Es war fast zwölf. Sie
hatte das Bügelbrett vor dem Fernseher aufgebaut, weil sie für
Stephane einen Berg Hemden bügeln mußte, und sie unterhielt
sich dabei gern mit irgendeiner anspruchslosen Talk-Show, die
man den ganzen Tag über auf jedem Sender finden konnte.
Eher aus den Augenwinkeln hatte sie den Schatten am Fenster
bemerkt, das sich schräg hinter ihr befand, und nach einer
Schrecksekunde war sie herumgefahren, bereit, der Gefahr ins
Auge zu sehen und sich ihr zu stellen. Aber da war niemand.
Nur ein Zweig des Oleanderstrauchs bewegte sich im leisen
Wind, und sie fragte sich, ob er es gewesen war, was sie für
einen menschlichen Schatten gehalten hatte. Aber der Zweig
bewegte sich ständig, und sie hatte ihn die ganze Zeit über
nicht bemerkt.
    Mit unbeherrschten Bewegungen – wie eine Verrückte,
dachte sie – stürmte sie durch die Tür hinaus auf die Terrasse.
Es war kalt, und der Platz, an dem sie im Sommer schweigend
nebeneinander saßen und lasen oder an manchen Abenden
grillten – und den Anschein einer ehelichen Idylle erweckten,
aber darüber hatte sie zuvor noch nie nachgedacht –, lag still
und leer in der Herbstsonne. Kein Mensch weit und breit.
    Wütend, oder vielleicht eher verzweifelt, riß Pauline an dem
Oleanderzweig, der ins Fenster hineinnickte und den sie gerade
deshalb immer so gern gemocht hatte. Sie brach ihn mit einem
einzigen Ruck ab und schleuderte ihn in den Garten. Dann ging
sie ins Wohnzimmer zurück, starrte in den Fernseher, wo sich
ein wütendes Ehepaar gegenseitig der Untreue beschuldigte
und von der Moderatorin nur mühsam am Austausch von
Handgreiflichkeiten gehindert wurde, und brach in Tränen aus.
Entweder stand sie auf der Abschußliste eines wahnsinnigen
Mörders und war praktisch todgeweiht, oder sie verlor langsam
den Verstand, und das war auch nicht viel besser.
    Und mit all dem, was es auch sein mochte, war sie allein.
Vollkommen allein. Und diese Erkenntnis war vielleicht das
Schlimmste von allem.
7
    Henri hatte Cathérine gebeten, um halb eins im Chez Nadine zu
sein, und wie immer war sie pünktlich. Sie schien sich jedoch
ziemlich abgehetzt zu haben, denn sie atmete hastig, als sie die
Küchentür aufriß, und sie wirkte verschwitzt: Ihre Haare
klebten ihr in der Stirn, und der leichte Baumwollpullover, den
sie trug, zeigte feuchte Ränder unter den Armen. Zudem roch
sie auch nach Schweiß, wie er feststellte, und er merkte, wie
sich leiser Widerwillen in ihm regte. Sicher, die Natur hatte sie
wahrhaft stiefmütterlich behandelt, und ihre Möglichkeiten,
eine halbwegs ansehnliche Frau aus sich zu machen, blieben
mehr als eingeschränkt, aber warum mußte sie sich

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