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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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es auf. Es wog zu schwer, um leer sein zu können.
    Es gelang ihr, den Gummiring am Deckel zu lösen und das
Glas zu öffnen. Sie hörte eine Flüssigkeit schwappen, und das
ließ sie jede Vorsicht vergessen. Sie setzte das Glas an ihre
Lippen und kippte den halben Inhalt in ihren Mund – um ihn
im nächsten Moment spuckend und würgend wieder von sich
zu geben. Essig. Sie hatte eingelegte Gurken erwischt,
widerliche, sauer eingelegte Essiggurken.
    Sie sank auf den Boden zurück, hustete und keuchte, wischte
sich mit einer kraftlosen Bewegung den Essig vom Kinn.
Vielleicht war er sadistischer, als sie gedacht hatte.
Vielleicht hatte er das ganze Regal mit Scheußlichkeiten dieser
Art gefüllt, weil er gewußt hatte, sie würde in ihrer
Verzweiflung die Gläser zu öffnen versuchen.
Sie würde dies nur herausfinden, indem sie weiterprobierte.
Langsam und stöhnend richtete sie sich wieder auf.
9
    »Am schlimmsten war es, die Kinder zu verlieren«, sagte
Christopher, »ich wußte, daß es andere Frauen in meinem
Leben geben würde, aber nie wieder diese Kinder. In den
ersten Wochen dachte ich, ich müßte wahnsinnig werden. Das
Entsetzen, mit dem ich in die leeren Zimmer blickte, war wie
ein körperlicher Schmerz. Ich lief im Kreis herum und meinte,
mit dem Kopf an die Wand schlagen zu müssen.«
    »Ich könnte es nicht ertragen, Sophie zu verlieren«, meinte
Laura, »und vielleicht ist es für Männer gar nicht so anders. Es
muß eine sehr harte Zeit für dich gewesen sein.«
»Es war die Hölle«, sagte er leise.
    Sie saßen vor dem Kamin, in dem ein Feuer brannte, tranken
Rotwein und blickten in die Flammen, die die einzige
Lichtquelle im Raum waren.
    Die Stimmung war angespannt gewesen, als Christopher
eingetroffen war. Am Nachmittag war Kommissar Bertin bei
Laura gewesen und hatte ihr auf den Kopf zu gesagt, daß er
von Peters Verhältnis mit Nadine Joly wußte.
    »Und ich weiß auch, daß Sie seit einigen Tagen davon
Kenntnis hatten. Warum haben Sie bei unserem Gespräch
nichts davon gesagt?«
    Sie hatte versucht, ihm zu erklären, was in ihr vorgegangen
war, und sie hatte den Eindruck gewonnen, daß er sie verstand
– wenn er natürlich auch ihr Verhalten nicht gutheißen konnte.
»Es geht hier um Mord, Madame. Da haben Gefühle wie
Scham und Verletztheit nichts zu suchen. Wenn Sie wichtige
Fakten unterschlagen, schützen Sie am Ende den Mörder Ihres
Mannes.«
    Er hatte noch ein paar Dinge von ihr wissen wollen, und er
hatte wie elektrisiert auf die Information reagiert, daß sich
Peter mit Nadine nach Argentinien habe absetzen wollen.
    »Wann haben Sie davon erfahren?« hatte er sofort gefragt,
aber sie war nicht sicher, ob er ihr glaubte, daß sie dies erst
herausgefunden hatte, als Peter bereits verschwunden und tot
gewesen war. Natürlich hatte sie sich verdächtig gemacht, aber
das fiel ihr erst später auf. Sie hätte ein gutes Motiv gehabt,
ihren Ehemann zu töten. Als Bertin ging, hatte sie ihn gefragt,
woher er von Peter und Nadine erfahren habe, doch er hatte
den Namen seines Informanten für sich behalten. Laura war
fast sicher, daß es Christopher gewesen war, der ihm reinen
Wein eingeschenkt hatte, und sie hatte ihn danach gefragt, als
sie beide einen Aperitif tranken. Er hatte nicht geleugnet.
    »Laura, er ist Kriminalkommissar. Ich kann es doch nicht
riskieren, ihn anzulügen. Irgendwann wäre es
herausgekommen, und wie hätte ich dann dagestanden?
Außerdem – was hätte ich sagen sollen auf seine Frage, warum
mich Peters Wegbleiben gar nicht beunruhigt hat?«
    Sie hatte ihn verstanden und sich dennoch nicht loyal
behandelt gefühlt.
»Du hättest mich anrufen und warnen können.«
Er war zerknirscht gewesen, und sie hatten schweigend zu
essen begonnen. Aber irgendwie – sie hätte nicht genau sagen
können, wie ihm das gelungen war – hatte er das Gespräch auf
seine Lebensgeschichte gebracht, und die Art, wie er davon
erzählte, bewirkte, daß sie Mitleid empfand und das Bedürfnis
spürte, ihn zu trösten.
»Das Wichtigste in meinem Leben«, fuhr Christopher nun
fort, »war immer die Familie. Von dem Tag an, als meine
Mutter uns ... verließ, als diese Hölle begann, da habe ich es
nur ausgehalten, indem ich mir immer wieder gesagt habe, es
wird einmal anders. Später, als Student, als meine Freunde
noch ihre Freiheit und Selbstverwirklichung im Kopf hatten,
träumte ich davon, nach Hause zu kommen und von einer Frau
und einer

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