Die Taeuschung
aus der Wand gerissen hatte, ging draußen im Garten wieder
das Licht des Bewegungsmelders an.
Reflexartig durchzuckte sie die Erinnerung, die sich bislang
nicht hatte fassen lassen: der Bewegungsmelder! Der Abend,
an dem er plötzlich vor ihrem Fenster gestanden hatte. Ihre
Irritation, von der sie nicht gewußt hatte, woher sie rührte.
Nun wußte sie es. Das Licht hätte angehen müssen. Er
konnte sich nur von hinten durch den Garten dem Haus
genähert haben, um sie ungestört beobachten zu können. Hätte
sie nur genauer darüber nachgedacht! Dann hätte sie früher
erkannt, daß etwas nicht stimmte mit ihm.
Keine Zeit, sich jetzt damit zu befassen! Ihr Handy! Wo,
zum Teufel, hatte sie ihr Handy? In ihrer Handtasche
vermutlich. Und wo war die Handtasche?
Ihre Blicke jagten im Zimmer herum. Wie üblich hatte sie
sie irgendwo abgestellt, und ganz offensichtlich nicht im
Wohnzimmer. Sie hörte ihn an der Tür und dachte, daß sie so
verdammt leichtsinnig gewesen waren in all den Jahren.
Warum hatten sie nie eine Sicherheitskette angebracht? Warum
hatten sie immer geglaubt, daß ihnen schon nichts passieren
würde?
Sie rannte die Treppe hinauf. Sie sah ihn zur Tür
hereinkommen. Er war völlig durchweicht vom Regen und
keuchte laut. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, jede
Bewegung mußte ihm Qualen bereiten. Er hinkte sehr stark,
schleppte sich eher vorwärts, als daß er lief. Er starrte zu ihr
hoch.
»Du billige kleine Nutte«, sagte er, »gib doch endlich auf.«
Sie vermutete, daß er Nadine umgebracht hatte, was
bedeutete, daß sie nun keine Hoffnung mehr haben konnte. Sie
rannte in ihr Schlafzimmer, verschloß die Tür und versuchte
mit aller Kraft, die schwere Kommode zu bewegen, um sie von
innen gegen die Tür zu schieben. Es ging nur millimeterweise
vorwärts, immer wieder mußte sie vor Erschöpfung innehalten.
Dazwischen lauschte sie ins Haus. Zweimal hörte sie
Treppenstufen knarren, er kam also herauf, aber es schien sehr
langsam zu gehen. Was hatte er noch über seinen Fuß gesagt,
am Mittag auf dem Parkplatz in La Madrague? Er sei in eine
Glasscherbe getreten. Sie nahm an, daß sich die Wunde
entzündet hatte, vielleicht hatte er sogar schon eine
Blutvergiftung. Zweifellos litt er starke Schmerzen, und
womöglich würde noch Fieber dazukommen, oder er fieberte
sogar bereits jetzt. Er hatte nicht mehr allzuviel Kraft, das hatte
sie sehen können; was immer er mit Nadine angestellt hatte, es
hatte seine letzten Reserven aufgebraucht. Es würde ihn
dreimal so viel Zeit kosten, in das Zimmer einzudringen, wie er
normalerweise gebraucht hätte, aber am Schluß würde er es
schaffen.
Er war vor der Tür angekommen. Trotz des Windes konnte
sie ihn atmen hören. Es mußte ihm sehr schlecht gehen, aber
das schien nicht zu bedeuten, daß er von seinem wahnsinnigen
Vorhaben abließ.
Während sie qualvoll langsam die Kommode bewegte,
machte er sich mit irgendeinem Gegenstand – sie vermutete,
mit einem Messer – am Schloß zu schaffen. Er unterbrach
immer wieder und rang nach Atem. Laura jedoch keuchte
inzwischen nicht weniger als er. Mühsam wuchtete sie die
schweren Schubladen heraus und konnte die Kommode dann
leichter schieben. Sie rückte sie unter die Türklinke, wobei sie
feststellte, daß sie zu niedrig war, diese zu blockieren. Die
Chance bestand nur darin, daß der geschwächte Christopher
nicht in der Lage sein würde, sie wegzuschieben. Eilig machte
sie sich daran, die Schubladen hineinzuhieven. Der Schweiß
lief ihr in Strömen über den Körper.
Sie war noch nicht fertig, da hörte sie, wie das Schloß
klirrend nachgab. Die Kommode schwankte. Christophe
drückte jetzt von der anderen Seite dagegen.
So schlecht es ihm gehen mochte, er war doch von äußerster
Entschlossenheit, und die verlieh ihm die Kraft, das letzte aus
sich herauszuholen. Aber auch Laura, von Todesangst
beherrscht, gab nicht nach. Sie wuchtete die zweite Schublade
an ihren Platz, und erhöhte damit erheblich das Gewicht, gegen
das Christopher zu kämpfen hatte. Jetzt noch die dritte. Und
wenn sie zusammenbrach. Sie würde es ihm so schwer
machen, wie sie nur konnte.
Sie hatte nicht darauf geachtet, wieviel Zeit vergangen war,
seitdem er aus dem Garten zurückgekommen war, aber sie
hatte den Eindruck, daß es mindestens vierzig Minuten sein
mußten. Eine halbe Ewigkeit. Und dennoch lagen noch
unendliche Nachtstunden vor ihr. Sie wußte nicht, was sie sich
davon
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