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Die Taeuschung

Die Taeuschung

Titel: Die Taeuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Felder. Die
Erkenntnis, daß er eigentlich tot sein müßte, wird sich seiner
nie bemächtigen.
Die Autos jagten an ihm vorbei. Er wußte, daß es nicht
ungefährlich war, hier herumzustehen. Er setzte sich wieder in
den Wagen, zündete eine Zigarette an, nahm sein Handy und
überlegte einen Moment. Sollte er Laura jetzt schon anrufen?
Sie hatten vereinbart, daß er sich von »ihrem« Rastplatz
melden würde, von jenem Ort, an dem man zum erstenmal das
Mittelmeer sehen konnte.
Er tippte stattdessen die Nummer seiner Mutter ein, wartete
geduldig. Es dauerte immer eine ganze Weile, bis die alte
Dame ihr Telefon erreichte. Dann meldete sie sich mit rauher
Stimme: »Ja?«
»Ich bin es, Mutter. Ich wollte mich einfach mal melden.«
»Schön. Ich habe lange nichts mehr von dir gehört.« Das
klang vorwurfsvoll. »Wo steckst du?«
»Ich bin an einer Tankstelle in Südfrankreich.« Es hätte sie
beunruhigt zu hören, daß er auf dem Seitenstreifen einer
Autobahn stand und weiche Knie hatte wegen eines kleinen
Hundes, der gerade vor seinen Augen dem Tod von der
Schippe gesprungen war.
»Ist Laura bei dir?«
»Nein. Ich bin alleine. Ich treffe Christopher zum Segeln. In
einer Woche fahre ich wieder nach Hause.«
»Ist das um diese Jahreszeit nicht gefährlich? Das Segeln,
meine ich.«
Ȇberhaupt nicht. Wir machen das doch jedes Jahr. Ist
schließlich nie schiefgegangen.« Er sagte dies in einem bemüht
leichten Ton, von dem er fand, daß er völlig unecht klang.
Laura hätte jetzt nachgehakt und gefragt: »Ist irgend etwas?
Stimmt was nicht? Du klingst merkwürdig.«
Aber seine Mutter würde es nicht einmal registrieren, wenn
er im Sterben läge. Es war typisch für sie, besorgte Fragen zu
stellen, wie die, ob das Segeln zu dieser Jahreszeit vielleicht
gefährlich war. Möglich, daß sie sich tatsächlich Gedanken
darum machte. Aber manchmal argwöhnte er, daß sie Fragen
dieser Art routinemäßig abschoß und sich für deren
Beantwortung schon nicht mehr interessierte.
»Britta hat angerufen«, sagte sie.
Er seufzte. Es bedeutete nie etwas Gutes, wenn sich seine
Ex-Frau mit seiner Mutter in Verbindung setzte.
»Was wollte sie denn?«
»Jammern. Du hast wieder irgendeine Zahlung an sie nicht
überwiesen, und angeblich reicht ihr Geld vorne und hinten
nicht.«
»Das soll sie mir selber sagen. Sie braucht sich nicht hinter
dich zu klemmen.«
»Du würdest dich regelmäßig verleugnen lassen, wenn sie
dich im Büro anruft, behauptet sie. Und daheim ... Sie sagt, sie
hätte wenig Lust, immer an Laura zu geraten.«
Er bereute es, seine Mutter angerufen zu haben. Irgendwie
gab es stets Ärger, wenn er das tat.
»Ich muß Schluß machen, Mutter«, sagte er hastig, »mein
Handy hat kaum noch Saft. Ich umarme dich.«
Warum habe ich das gesagt? überlegte er. Warum dieses
alberne Ich umarme dich. So reden wir normalerweise gar nicht
miteinander.
Es gelang ihm mit einiger Anstrengung, sich von der
Standspur wieder in den Verkehr einzufädeln. Er hatte es nicht
allzu eilig, pendelte sich auf einer Geschwindigkeit von
hundertzwanzig Stundenkilometern ein. Ob seine Mutter nun
auch über diesen letzten Satz nachdachte, der für sie eigenartig
geklungen haben mußte?
Nein, entschied er, tat sie nicht. Der letzte Satz war an ihr
vermutlich ebenso vorbeigerauscht, wie auch sonst alles, was
mit anderen Menschen zu tun hatte, von ihr herausgefiltert
wurde.
Er fand einen Radiosender, stellte die Musik auf dröhnende
Lautstärke. Mit Musik konnte er sich betäuben, so sicher wie
andere mit Alkohol. Es kam nicht darauf an, was er hörte. Es
mußte nur laut genug sein.
Gegen achtzehn Uhr erreichte er den Rastplatz, von dem aus
er Laura anrufen wollte. Wenn sie zusammen nach
Südfrankreich fuhren, hielten sie stets an dieser Stelle an,
stiegen aus und genossen den Blick auf die Bucht von Cassis
mit ihren sie halbmondförmig umfassenden, sanft ansteigenden
Weinbergen und auf die oberhalb der Bucht steil aufragenden
Felsen. Fuhr er allein – zu dem alljährlichen Segeltörn mit
Christopher –, dann rief er Laura von diesem Platz aus an. Dies
gehörte zu den stillschweigenden Übereinkünften zwischen
ihnen, von denen es viele gab. Laura liebte Rituale, liebte
unverrückbar wiederkehrende Momente zwischen ihnen. Er
selber hing nicht so daran, hatte aber auch nicht den Eindruck,
daß ihre Vorliebe dafür ihn wirklich störte.
Er fuhr die langgezogene, ansteigende Kurve zum Parkplatz
hinauf.

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