Die Taeuschung
Kleider
ordentlich in den Schrank, zog das ausgeleierte T-Shirt an, das
sie nachts immer trug. Peter hatte es ihr während ihres ersten
gemeinsamen Urlaubs in Südfrankreich vor acht Jahren
geschenkt. Damals war es noch bunt und fröhlich gewesen,
aber inzwischen hatte es so viele Wäschen hinter sich gebracht,
daß Laura sich darin nicht mehr sehen lassen wollte. Doch
Peter hatte nicht zugelassen, daß sie es aussortierte.
»Zieh es wenigstens nachts an«, bat er, »ich hänge irgendwie
daran. Es erinnert mich an eine ganz besondere Zeit in unserem
Leben.«
Sie waren frisch verliebt gewesen damals. Laura war
siebenundzwanzig gewesen, Peter zweiunddreißig. Er frisch
geschieden, sie frisch getrennt. Beide angeschlagen,
mißtrauisch, ängstlich, sich auf etwas Neues einzulassen.
Peters Ex-Frau war unmittelbar nach vollzogener Scheidung
mit dem gemeinsamen Sohn ans andere Ende Deutschlands
gezogen, was Peters Besuchsrecht zur Farce machte und ihn in
tiefste Einsamkeit gestürzt hatte. Er hatte länger gebraucht als
Laura, sich für die gemeinsame Zukunft zu öffnen.
In dem alten T-Shirt ging sie ins Bad hinüber, putzte die
Zähne und kämmte die Haare. Im Spiegel konnte sie sehen, daß
sie blaß war und einen sorgenvollen Zug um den Mund hatte.
Sie dachte an Photos, die sie in demselben T-Shirt acht Jahre
zuvor in den Straßen von Cannes zeigten: braungebrannt,
strahlend, mit leuchtenden Augen. Von der Liebe in
mitreißender Heftigkeit getroffen. Überwältigt und wunschlos
glücklich.
»Das bin ich heute auch noch«, sagte sie zu ihrem
Spiegelbild, »wunschlos glücklich. Aber ich bin eben älter.
Fünfunddreißig ist nicht dasselbe wie siebenundzwanzig.«
An der Ruckartigkeit, mit der sie den Kamm durch die Haare
zog, erkannte sie, wie gespannt ihre Nerven waren.
Mein Mann ruft einmal nicht an, dachte sie, wie kann mich
das derart aus dem Gleichgewicht werfen?
Von Freundinnen wußte sie, daß andere Männer in dieser
Hinsicht viel lockerer waren. Sie vergaßen in der Hälfte aller
Fälle, pünktlich oder überhaupt anzurufen, Vereinbarungen
einzuhalten oder sich wichtige Termine der Partnerin zu
merken. Lauras Mutter Elisabeth sagte immer, Laura habe mit
Peter ein Prachtexemplar erwischt.
»Er ist sehr zuverlässig und auf dich konzentriert. Halte ihn
nur gut fest. So etwas findest du so leicht nicht noch einmal.«
Sie wußte das. Und sie wollte auch nicht kleinlich sein. Aber
gerade weil Peter immer so zuverlässig war, wurde sie ein
Gefühl der Beunruhigung nicht los.
Natürlich war sie zudem viel zu fixiert auf ihn – ihre
Freundin Anne sagte das auch immer –, aber schließlich ...
Das Telefon klingelte und unterbrach ihre quälenden
Gedanken.
»Endlich«, rief sie und lief ins Schlafzimmer, wo ein
Apparat neben ihrem Bett stand.
»Ich dachte schon, du bist einfach eingeschlafen und hast
mich vergessen«, sagte sie anstelle einer Begrüßung.
Am anderen Ende der Leitung konsterniertes Schweigen.
»Ich kann mir eigentlich nicht denken, daß Sie mich
meinen«, sagte schließlich Britta, Peters Ex-Frau.
Laura war ihr Versehen sehr peinlich.
»Entschuldigen Sie bitte. Ich dachte, es sei Peter.«
Brittas Stimme hatte wie immer einen anklagenden Unterton.
»Demnach ist Peter wohl nicht daheim? Ich müßte ihn sehr
dringend sprechen.«
Samstag abend um halb elf, dachte Laura verärgert, nicht
gerade die übliche Zeit, nicht einmal für geschiedene
Gattinnen.
»Peter ist nach La Cadiére gefahren. Er wird erst nächsten
Samstag zurückkommen.«
Britta seufzte. »Von Christopher und diesem verdammten
Segeln im Herbst kommt er wohl nie mehr los. Das geht doch
jetzt schon seit bald fünfzehn Jahren so.«
Britta demonstrierte immer wieder gern, daß sie über Peters
Vorlieben und Besonderheiten bestens informiert war und daß
sie ihn überhaupt schon viel länger kannte als Laura.
»Gott sei Dank«, fügte sie nun hinzu, »habe ich ja mit all
dem nichts mehr zu tun.«
»Soll ich Peter bitten, Sie anzurufen, wenn er sich bei mir
meldet?« fragte Laura, ohne auf die letzte Bemerkung Brittas
einzugehen.
»Ja, unbedingt. Die Unterhaltszahlung für Oliver ist noch
immer nicht auf meinem Konto eingegangen, und wir haben
heute schon den sechsten Oktober!«
»Nun, ich finde ...«
»Ich meine natürlich die Zahlung für September. Die ich am ersten September hätte bekommen sollen. Ich denke nicht, daß
ich mich deswegen zu früh melde. Die Zahlung für Oktober ist
übrigens
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