Die Taeuschung
Pizza-Familie verbreitete jede Menge
Lärm, selbst durch die geschlossenen Wagenfenster drangen
die Fetzen von Gesprächen und Gelächter. Er ließ den Motor
wieder an und rollte langsam vom Parkplatz.
Die Dämmerung kam nun schnell, aber es lohnte sich nicht
zu warten; es würde keinen Sonnenuntergang über dem Meer
geben.
2
Als Peter um Viertel nach zehn noch nicht angerufen hatte,
wählte Laura nach einigem Zögern seine Handy-Nummer. Er
konnte sehr gereizt reagieren, wenn sie sich nicht an
Vereinbarungen hielt – und in diesem Fall hatte die
Vereinbarung gelautet, daß er sich wieder melden würde. Aber
sie war ein wenig unruhig, konnte sich nicht vorstellen, daß er
sich so lange beim Essen aufhielt. Er hatte so müde geklungen
vier Stunden zuvor, so erschöpft, wie sie ihn ganz selten bisher
erlebt hatte.
Er meldete sich nicht, nach sechsmaligem Klingeln schaltete
sich seine Mailbox ein. »Bitte hinterlassen Sie mir eine
Nachricht, ich rufe später zurück ...«
Es drängte sie, ihm irgend etwas zu sagen, ihm etwas
mitzuteilen von ihrer Sorge, ihrer Liebe, ihrer Sehnsucht, aber
sie unterließ es, damit er sich nicht bedrängt fühlte. Vielleicht
hatte er sich bei Nadine und Henri festgeredet, hörte das Handy
nicht, hatte keine Lust, seine Unterhaltung zu unterbrechen,
oder hatte das Gerät überhaupt im Auto vergessen.
Wenn ich jetzt bei Henri anrufe, fühlt sich Peter kontrolliert,
dachte sie, und wenn ich in unserem Haus anrufe und er schläft
vielleicht schon, wecke ich ihn auf.
»Manchmal«, sagte Peter oft zu ihr, »könntest du Dinge
doch einfach auf sich beruhen lassen. Auf die eine oder andere
Weise lösen sie sich, auch ohne daß du vorher deine ganze
Umgebung verrückt gemacht hast.«
Trotzdem blieb sie noch einen Moment vor dem
Telefonapparat stehen und überlegte, ob sie Christopher
anrufen sollte. Peter hatte gesagt, er wolle an diesem Abend
nicht mehr zu ihm, aber vielleicht hatte er es sich anders
überlegt.
Es ist mein gutes Recht, anzurufen, dachte sie trotzig.
Christopher würde ihre Sorge verstehen. Er würde gar nichts
dabei finden. Und dennoch würde Peter später behaupten, sie
habe ihn vor seinem Freund blamiert.
»Christopher muß ja denken, ich bin ein Hund, der an der
kurzen Leine gehalten wird. Du wirst nie das Wesen einer
solchen Männerfreundschaft verstehen, Laura. Dazu gehört
auch ein Stück Freiheit.«
»Ich glaube nicht, daß Christopher das als Problem sieht.«
»Er würde sich dazu nicht äußern. Weil er sich nicht
einmischt und überhaupt ein gutmütiger Kerl ist. Aber er macht
sich seine Gedanken, glaube mir.«
Und du schreibst deinem Freund Gedanken und
Empfindungen zu, die in Wahrheit nur deine eigenen sind,
dachte sie.
Sie ging die Treppe hinauf und schaute in Sophies Zimmer.
Die Kleine schlief, atmete ruhig und gleichmäßig.
Vielleicht, überlegte Laura, hätte ich doch mitfahren sollen.
Zusammen mit Sophie ein paar sonnige Oktobertage im Haus
verbringen, während Peter segelt. Ich hätte mich nicht so
einsam gefühlt.
Aber sie war noch nie mitgekommen, wenn Peter zu seinem
herbstlichen Segeltreff in den Süden fuhr. Natürlich, bis vor
vier Jahren hatten sie auch das Haus in La Cadiére noch nicht
gehabt, sie hätte in ein Hotel gehen müssen, und sie hielt sich
nicht gerne allein im Hotel auf. Einmal – das mußte fünf Jahre
her sein – hatte sie überlegt, bei Nadine und Henri zu wohnen,
in einem der beiden gemütlichen und völlig unkomfortablen
Gästezimmer unter dem Dach, die die beiden hin und wieder
vermieteten.
»Ich hätte dann Anschluß, während du mit Christopher
unterwegs bist«, hatte sie gesagt. Wieder einmal hatte sie
geglaubt, die einwöchige Trennung von Peter nicht zu ertragen.
Doch Peter war dagegen gewesen.
»Ich halte es für ungeschickt, dieses eine Mal bei Nadine
und Henri zu wohnen. Sonst tun wir es ja auch nicht, und sie
denken dann vielleicht, sie sind normalerweise nicht gut genug
für uns, aber im Notfall greifen wir auf sie zurück.«
Seitdem sie Besitzer eines eigenen Hauses waren, hätte sich
das Problem nicht mehr gestellt, aber Peter hatte auf Lauras
Andeutung, sie könne doch vielleicht mitkommen, nicht
reagiert, und einen zweiten Anlauf hatte sie nicht nehmen
wollen. Diese eine Oktoberwoche gehörte Christopher, und
offenbar hätte es Peter schon gestört, Frau und Tochter auch
nur in der Nähe zu wissen.
Sie ging ins Schlafzimmer, zog sich aus, hängte ihre
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