Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Vater noch nichts gehört.« Jetzt ist es Mittwoch, und es regnet, genau wie eine Woche zuvor. Auf der Alameda rauschen die Busse vorbei, in ihnen die Arbeiter, Hausangestellte, Gärtner auf ihrem Weg zu den Häusern der Reichen im Barrio Alto. Die Abgase steigen aus den Auspuffen hoch und vermengen sich mit dem drückenden Grau.
Niemand scheint irgendetwas zu tun, damit die Dinge sich ändern. Alle sind gelähmt, ich auch.
Ich leiste einfach nur Papa Folge. Er ist Philosophielehrer, und wenn er sagt, wir sind im Plan »Barock«, dann glaube ich ihm. Während ich den Gehweg vor der Schule nach einer brennenden Zigarette absuche, gerate ich kurz ins Träumen. Ich träume, dass ich leicht verspätet ins Klassenzimmer komme und Señor Santos gerade schon die Liste durchgeht, und als er meinen Namen aufruft, sage ich »hier«.
Ich komme gerade noch rechtzeitig, um das Blatt mit den Fragen entgegenzunehmen, das Señor Valdivieso austeilt. Wir sollen anhand von Platons Höhlengleichnis erläutern, wie man aus der Welt der Schatten herausfinden und zur Klarheit der Ideen aufsteigen kann.
Meine Klassenkameraden arbeiten still, sie haben schon bald die erste Seite vollgeschrieben.
Ich höre jedes Mal das Papier rascheln, wenn einer das Blatt wendet, um auf der Rückseite weiterzuschreiben. Ich kenne das Höhlengleichnis in- und auswendig, und Papa und ich haben hin und wieder Platons Dialoge gelesen, er hat den Part des Sokrates übernommen und ich den seines Gegenredners, aber anstatt die Frage zu beantworten, denke ich an Patricia Bettini, an den Trenchcoat meines Vaters, den er an dem Tag, als sie ihn festgenommen haben, vom Stuhl genommen hat, und an den Songtext von Billy Joels Just the way you are .
Als es noch fünf Minuten bis zum Ende der Stunde sind, habe ich, glaube ich, die gesamte erste Strophe von Billy Joels Song beisammen und schreibe sie, leise vor mich hin summend, auf das Prüfungsblatt:
Don’t go changing,
to try and please me
you never let me down before,
don’t imagine you’re too familiar
and I don’t see you anymore.
I wouldn’t leave you
in times of trouble,
we never could have come this far,
I took the good times,
I’ll take the bad times,
I’ll take you just the way you are.
Die Frage zum Höhlengleichnis beantworte ich mit keinem Wort.
»Wie ist es dir ergangen, Santos?«, fragt Valdivieso mich, als ich ihm den Prüfungsbogen abgebe.
»Geht so«, sage ich und ströme mit meinen Mitschülern auf den Hof.
VIERZEHN
A ls Bettini das Lokal verließ, war er entschlossen, Olwyn abzusagen.
Es kam mehreres zusammen: die Mutlosigkeit der Menschen, die sich an die Diktatur gewöhnt hatten, die allgemeine Hoffnungslosigkeit und Trägheit, weil jeder Widerstand vom Regime im Keim erstickt wurde; außerdem hatte er nicht einen Funken einer Idee für die Kampagne, und umso mächtiger dröhnte die Drohung von Dr. Fernández wie eine gusseiserne Glocke in seinem Kopf: »Wenn Sie mir einen großen Gefallen tun möchten, dann lehnen Sie es ab, für Nein zu Pinochet die Kampagne zu leiten.«
Beim Betreten von Olwyns Büro beschloss er, die Sache sofort auf den Tisch zu bringen, bevor er wieder weich werden würde.
»Mir fällt nichts ein«, platzte es aus ihm heraus.
»Wie denn das?«
»Pinochet hat die Seele dieses Landes zerstört. Die Menschen sind resigniert. Ich sage ab.«
»Sie müssen sich eben eine Kampagne ausdenken, die den Menschen Mut macht.«
»Mut! Sie sehen alles nur grau in grau.«
»Erfinden Sie etwas, damit die Menschen die Zukunft in einer anderen Farbe sehen. Ich kann jetzt mit Ihnen nicht meine Zeit verlieren. Es bringt mich schon genug zum Schwitzen, alle sechzehn Parteien, die uns unterstützen, unter einen Hut zu bringen. Ich muss aufpassen, dass uns der Kuchen nicht zerbröselt, und Sie kommen mir mit Ihren metaphysischen Wehwehchen.«
Bettini sank niedergeschlagen in das alte Ledersofa. »Ich fühle mich, als würde ich einen einsamen Kampf führen.«
»Warum denn? Das chilenische Volk und sechzehn Oppositionsparteien stehen hinter Ihnen!«
»Hätten wir doch eine einzige Oppositionspartei mit einem klaren Profil und nicht diesen Sack Flöhe aus sechzehn Parteien.«
Olwyn schlug mit der Faust auf den Tisch. Er schien mit seiner Geduld am Ende zu sein.
»Sack Flöhe! Woher haben Sie denn diesen Ausdruck, Bettini?«
»Ob Sie es glauben oder nicht, er stammt von meiner Tochter.«
»Von Ihrer Tochter?«
»Ja, von meiner Tochter.«
»Spätestens am Samstag
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