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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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angetrocknetes Brötchen. Er schenkte sich ein Glas Wein ein und betrat ohne anzuklopfen Patricias Zimmer.
    Im Halbdunkel sah er seine Tochter mit dem Kopfkissen im Arm schlafen. Er knipste die Nachttischlampe an und betrachtete sie. Wie könnte er sie glücklich machen? Es tat ihm leid, dass er diese ganzen schrecklichen Jahre, die er keine Arbeit gehabt und jeden Gelegenheitsjob hatte annehmen müssen, für seine Tochter weder Zeit noch Geld gehabt hatte. Das Schulgeld für die Scuola Italiana konnte er nur mit teuren Krediten aufbringen.
    Er sprach sie sanft an: »Patricia.«
    Das Mädchen setzte sich ruckartig im Bett auf.
    »Was ist passiert, Papa?«
    »Entschuldige, mein Kind. Ich muss dich etwas Wichtiges fragen.«
    »Sag schon.«
    »Wofür wirst du beim Plebiszit stimmen?«
    »Dafür weckst du mich, Papa?«
    »Wofür wirst du bei dem Plebiszit stimmen? Bitte, sag es mir.«
    »Nein.«
    »Bin ich erleichtert! Wenigstens schon mal eine Neinstimme.«
    »Du hast mich falsch verstanden, Papa. Ich werde nicht ›Nein‹ stimmen. Ich werde überhaupt nicht abstimmen.«
    Bettini musste schlucken. Er hatte Durst.
    »Und warum nicht?«
    »Darüber haben wir in der Schule schon tausend Mal diskutiert. Lass mich jetzt schlafen.«
    »Es ist sehr wichtig, dass du mir das jetzt sagst.«
    »Warum?«
    »Weil ich mich gerade einverstanden erklärt habe, die ›Nein‹-Kampagne zu übernehmen.«
    »Du bist verrückt, Papa!«
    »Das weiß ich selber. Jetzt sag mir, warum du keine Stimme abgeben willst. Ich brauche diese Information aus beruflichen Gründen.«
    »Weil Pinochet tricksen wird. Kein Diktator veranstaltet ein Plebiszit, um es zu verlieren. Weil die Politiker hinter dem ›Nein‹ ein Sack Flöhe sind, sie haben kein Konzept, wie sie das Land führen würden, falls sie gewinnen. Weil ich davon überzeugt bin, dass es für dieses Land keinen Ausweg gibt. Ich glaube nicht, dass man mit Zetteln, die man in eine Urne wirft, eine Militärdiktatur erschüttern kann.«
    »Und wie denken die anderen Schüler?«
    »Die aus den unteren Klassen, die noch keine achtzehn sind, dürfen nicht wählen. In meiner Klasse denken alle so wie ich.«
    »Ihr seid alle einer Meinung?«
    »Nein. Wie immer gibt es Verrückte, die es enorm wichtig finden, mit ›Nein‹ zu stimmen.«
    »So Verrückte wie mich.«
    »Ja, Papa.«
    »Und was willst du machen?«
    »Wie, was will ich machen? Was denn, wozu?«
    »Damit die Diktatur beendet wird. Damit Pinochet geht.«
    »Nichts.«
    »Patricia!«
    »Was regst du dich so auf, Papa? Anstatt über Politik zu palavern, schreibe ich lieber gute Noten, bewerbe mich für ein Stipendium und gehe so weit weg wie möglich. Ihr könnt ja gern bei eurem Pinochet und seinen Arschkriechern bleiben.«
    Bettini rückte dichter heran, und Patricia sah im Schein der Nachttischlampe seine Bestürzung.
    »Das heißt, du willst nicht kämpfen?«
    »Wozu, Papa? Sieh mal dich an. Du hast seit Jahren keine Arbeit. Alle loben dich in den Himmel, aber so, wie man jemanden in den Himmel lobt, der tot ist. Wie Napoleon zum Beispiel. Die Zeiten ändern sich, Papa. Es gelten neue Spielregeln. Mir ist deine moralische Haltung sehr sympathisch, aber ich finde sie total naiv.«
    Sie streichelte ihm die Wange.
    »Verstehe.«
    »Verletzt dich das, was ich sage, Papa?«
    »Nein, nein.«
    Bettini erhob sich von der Bettkante.
    Seine Schultern schienen die Last der ganzen Welt zu tragen.
    »Sei nicht so traurig, Papa. Ich hab dich doch lieb.«
    »Ich weiß, mein Schatz.«
    »Und den Menschen, die man lieb hat, sagt man eben die Wahrheit.«
    »Ja, du hast recht.«
    Bettini beeilte sich, zur Tür zu kommen, doch das Mädchen sprang aus dem Bett und schloss ihn fest in die Arme.
    »Papa?«
    »Patricia?«
    »Wenn du die ›Nein‹-Kampagne entwirfst, dann stimme ich mit ›Nein‹.«

DREIZEHN
    P atricia Bettini macht ganz auf Hippie, aber sie will erst mit mir schlafen, wenn wir unseren Abschluss gemacht haben. Das Ende der Schule sieht sie als Befreiung. In ihrer Vorstellung kommen dann alle schönen Dinge des Lebens auf einmal: die Uni, der Sex und natürlich das Ende von Pinochet.
    Für sie ist es ausgemachte Sache. Sie braucht nur diese sechs Monate zu überstehen, dann bekommt sie ein gutes Zeugnis, einen Platz in Architektur, und Pinochet wird gestürzt.
    Am Dienstag waren wir verabredet, doch sie ist nicht gekommen. Ich habe dann noch mal bei der Nummer angerufen, aber man hat mir gesagt: »Tut mir leid, mein Junge, wir haben von deinem

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