Die Tage des Regenbogens (German Edition)
nicht.«
Auch Bettinis Stimme wurde laut.
»Ich weiß, dass ›Nein‹ keine Ware ist. Aber Pinochet hat die Leute fünfzehn Jahre lang im Fernsehen zugesülzt. Mir geben sie nur fünfzehn Minuten, um die ›Unentschlossenen‹ dazu zu bringen, gegen ihn zu stimmen. Ich muss den Chilenen Lust machen, etwas zu kaufen, das es im Moment nicht auf dem Markt gibt.«
»Und was soll das sein?«
»Lebensfreude! Hier hast du ein Blatt Papier. Wir brauchen eine einfache Idee, aus der man das Plakat für die Kampagne entwickeln kann.«
Er breitete einen Bogen Papier auf der Tischdecke aus und beschwerte die Kanten mit Messern.
»Langsam«, bat seine Frau. »Was soll diese einfache Idee ausdrücken?«
»Man muss mit einem Blick erfassen, dass sich sechzehn Parteien, obwohl sie vollkommen unterschiedlich sind, zusammengetan haben, um diesen Sieg zu erringen. Dafür brauchen wir ein Bild.«
Magdalena malte mit dem schwarzen Füller etwas aufs Papier.
»Eine Hand. Wie findest du das? Fünf Finger sind eine Hand. Das vermittelt die Idee von Einheit und Vielfalt.«
»Hm. Der Hand fehlen einige Finger.«
Sie entwickelte ihr Bild weiter.
»Also zwei sich entgegenkommende Hände. Sind schon zehn Finger!«
»Alle Finger haben dieselbe Farbe.«
Magdalena goss Tinte aufs Blatt.
»Eine weiße Hand und eine schwarze Hand.«
»Wen soll das ansprechen? Chile ist das einzige Land in Lateinamerika, in dem es keine Schwarzen gibt.«
»Dann eben eine Hand, die eine Farbpalette hält.«
»Nicht übel. Aber eine Hand, die etwas hält, ist eine Faust. Eine Faust gefällt vielleicht den Sozialisten und den Kommunisten, aber nicht den Christdemokraten und den Liberalen.«
»Lassen wir die Hände beiseite. Welcher Text soll zum Bild?«
»›Nein‹.«
»Sonst nichts?«
»Das ›Nein‹ ist allein am stärksten, alles, was dazukommt, schwächt es. Jeder hat seinen Grund, mit ›Nein‹ zu stimmen, und das Plakat muss alle Möglichkeiten offenhalten.«
»Du brauchst einen Inhalt, Adrián. ›Nein zur Folter‹, ›Nein zur Armut‹, ›Nein zum Verschwinden von Menschen‹, ›Nein zum Exil‹.«
»Komm mir nicht mit dem immergleichen traurigen Lied, das wir die ganzen Jahre gesungen haben. Wir brauchen etwas Neues, wir brauchen Lebensfreude. Unser Versprechen muss ein anderes sein.«
»Das ist zynisch. Und banal.«
»Mein gebrochenes Schlüsselbein dankt dir für deine aufbauenden Worte.«
»Du hast keine Prinzipien.«
»Aber Ziele. Ich will erreichen, dass ›Nein‹ gewinnt, und du ziehst mich nur runter.«
»Was genau suchst du?«
»Lebensfreude. Das Licht am Ende des Tunnels.«
»Wie willst du ein negatives Wort in eine positive Botschaft umwenden? Mit ihrem ›Ja‹ haben sie es leicht. ›Ja zum Leben!‹ ›Ja zu Chile!‹«
»Ich brauche eine Pause. Ich brauche was zu trinken. Ich brauche ein Wunder.«
Die Klingel tönte hell wie ein Weihnachtsglöckchen. Sie warfen einen Blick auf die Wanduhr und sahen sich fragend an.
Wieder klingelte es, da band sich Magdalena mit einem Gummi die Haare zusammen und schritt zur Tür.
»Ich gehe aufmachen«, sagte sie.
SIEBZEHN
F ür die jungen Leute der Oppositionsbewegung »Pro FESES« ist Papas Verschwinden ein willkommener Vorwand, um unsere Schule zu besetzen, und sie laden mich zu einer Versammlung in die Bibliothek.
Ich halte mich an das, was Papa mir eingebläut hat, und sage ihnen, dass ich mit Politik nichts zu tun haben will. Obwohl Patricia Bettini meint, dass es etwas anderes ist, wenn es um den eigenen Vater geht.
»Es ist aber nicht dein Vater«, erwidere ich aus meinem Schal heraus.
Doch im selben Moment bereue ich, was ich gesagt habe, denn vor ein paar Jahren haben sie ihren Vater festgenommen und ihm das Schlüsselbein gebrochen.
Das Programm der Schülerbewegung ist mir vertraut: Sie wollen die Diktatur destabilisieren, indem sie Chaos stiften und so den Eindruck erwecken, das Land sei unregierbar, sie wollen alle Gegner von Pinochet unabhängig von Parteizugehörigkeiten zusammenbringen, einfach, um auf die Kacke zu hauen, just for the fun of it .
Ohne einen englischsprachigen Satz geht bei uns gar nichts. Wir lernen sie aus Songs oder von unserem Lehrer Rafael Paredes, der nächsten Monat nach Portugal gehen und dort einen Film drehen wird. Vater meint, nach Portugal oder Griechenland oder sonstwohin zu gehen ist das Beste, was er tun kann, denn die Polizei ist hinter ihm und seiner Familie her.
Mein Vater und unser Englischlehrer sind gut
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