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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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brauche ich für unser ›Nein‹ Logo, Lied und Plakat.«
    »Na gut.«
    »Was haben Sie jetzt vor?«
    »Einen Whisky trinken.«
    »Aber Sie sind doch ein so blitzgescheiter Kopf! Ihnen ist wirklich gar nichts eingefallen?«
    »Nur blasse Formulierungen wie ›Demokratie oder Pinochet‹.«
    »Sterbenslangweilig.«
    »Dafür fällt mir ein hervorragender Slogan für die Kampagne Ja zu Pinochet ein: ›Ich oder das Chaos‹. Wir bräuchten so etwas Griffiges. Überhaupt wollen die Leute keine Freiheit. Sie wollen Konsum. Sie sind verblödet von so viel Werbung und verschulden sich, um alles zu kaufen. Pinochet impft ihnen ein, wenn er verliert, werden die Regale leer sein.«
    Olwyn sah ihn fest an und rieb sich bedächtig die Hände.
    »Würden Sie sich besser fühlen, wenn Sie für ›Ja‹ arbeiten würden?«

FÜNFZEHN
    I m Studio der Produktionsfirma Filmo Centro drängte sich eine Menschenmenge. Sie alle wollten erzählen, wie sehr sie unter der Diktatur litten: Mütter, deren Kinder verschwunden waren, vergewaltigte Frauen, gefolterte Jugendliche, Arbeiter mit Nierenverletzungen, gehörlose Alte, Arbeitslose ohne Wohnung, Studenten, die man von der Universität geworfen hatte, Pianisten mit gebrochenen Handgelenken, Männer mit von Hunden zerbissenen Brustwarzen, Büroangestellte ohne Augenlicht, Hunger leidende Kinder. Eine fünfzigjährige Frau kam zusammen mit einem Gitarristen auf Bettini zu.
    »Ich möchte, dass Sie in Ihrer Kampagne meinen Tanz zeigen.«
    »Ein Tanz ist gut«, sagte der Werbemann. »Das ist etwas Fröhliches.«
    »Dieser junge Mann ist mein Sohn Daniel. Er ist Gitarrist.«
    »Hallo, Daniel.«
    »Der Tanz ist meinem Mann gewidmet. Er ist verschwunden.«
    »Mit wem werden Sie tanzen?«
    »Mit ihm natürlich. Mit meinem Mann.«
    Sie zog ein weißes Taschentuch aus dem Dekolleté und schwenkte es hin und her. Der Junge spielte ein paar Akkorde, dann setzte seine grelle Stimme zur ersten Strophe an: »Es gab eine Zeit in meinem Leben, da ich glücklich war …«
    Die einfache Würde, mit der diese Frau den Tanzschritten ihres verschollenen Mannes folgte, war erschütternd. Bettini entschuldigte sich und verschwand auf die Toilette.
    Er ließ sich Wasser über den Nacken rinnen, es war ihm egal, dass sein Hemd nass wurde. Dann rieb er sich unter dem laufenden Wasserhahn das Gesicht, wie um seine Blässe wegzurubbeln.
    Und auf diese Weise zerrannen auch seine Tränen im Waschbecken.

SECHZEHN
    A uf den ersten Whisky folgte ein zweiter, und in den dritten gab er so viele Eiswürfel, dass das Glas überlief. Er spazierte mit den Fingern über die Tasten, doch die Tonfolgen formten sich zu keiner Idee, und seine Gedanken schweiften immer wieder ab. Die politische Abgestumpftheit der Chilenen ärgerte ihn, sodass er sich schon fragte, ob der Selbstmord von Präsident Allende in einem so kleingeistigen Land einen Sinn gehabt hatte. Was war vom Geist der Siebzigerjahre geblieben? Tonnenweise Skepsis, die alles lähmte.
    Im Fernsehen gab es nur Spielshows, Sternchen von Vorvorgestern, kitschige Schlager mit viel Flitter, Nachrichten, in denen samtene Stimmen von der neuen Asphaltdecke in einem Provinznest berichteten.
    Und Werbung.
    Werbung bis zum Gehtnichtmehr, für Immobilien, Unterwäsche, Jeans, Lippenstifte, Kakaomilch, Parfüm, Bankkredite, Matratzen, Supermärkte, Brillen, Wein im Pappkarton, Reisen nach Cancún, Privatuniversitäten. Die Werbespots waren weitaus besser als die Fernsehserien und die Sänger aus den Charts.
    Was nicht verwunderlich war: Alle Filmemacher, mit denen er befreundet war, waren arbeitslos und jobbten unter falschem Namen in den Werbeagenturen. Ihre Sprache war den Leuten vertraut. Das könnte ihm nützen für die Vermarktung seines Produkts »Nein«. Er müsste es anpreisen wie Erdbeereis, wie französischen Champagner, wie Ferien in Punta del Este, wie ein Kleid von Falabella, wie ein knuspriges Grillhähnchen.
    Das sagte er zu Magdalena, als sie sich zum Abendessen setzten. Während seine Frau ihm zuhörte, zupfte sie das Innere aus ihrem Brötchen und knetete es zu Kügelchen. Doch irgendwann hielt sie es nicht länger aus, sie wischte energisch die Krümel von der Tischdecke und bot ihrem Mann Contra.
    »Das ›Nein‹ zur Diktatur ist keine Ware. Das ist eine moralische und politische Grundfrage. Du musst die Leute davon überzeugen, dass ihre Würde auf dem Spiel steht. Du hast immer zu deiner ethischen Überzeugung gestanden. Jetzt prostituiere dich

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