Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Stimmenauszählung respektieren.
»Na ja«, räumte der Botschafter ein und bereitete damit die Zuhörer auf den vulgären Ausdruck vor, den er nun mit blendendem Lächeln wortwörtlich wiedergab, »er sagte mir auch, ›wenn Sie verlieren, haben sie es verschissen‹.«
Der Botschafter schloss seine Begrüßung zu dieser »ökumenischen« Veranstaltung – seine originelle Adjektivwahl garnierte er mit einem weiteren Lächeln – mit den Worten: »Die Verfassung von 1980 verpflichtet Pinochet zu diesem Plebiszit, doch wir alle wissen, dass das Militär die Macht besitzt, sich um die Verfassung einen Sie wissen schon zu scheren. Aber wir müssen nicht immer den Teufel an die Wand malen. Gehen wir davon aus, dass der General sein Wort halten wird.«
Er zeigte mit dem Zigarillo auf Bettini, auch wenn seine Worte an alle gerichtet waren.
»Um die Wahrheit zu sagen, ich erwarte einen Geniestreich, denn wir alle kennen den Lebenslauf dieses talentierten Werbemanns. Ein Mann, ›bittersüß wie das Leben‹, den der Innenminister eigentlich für seine ›Ja‹-Kampagne buchen wollte. Er, der sich selbst als ein David sieht, der gegen Goliath antritt, hat sich trotz aller Risiken, die das bedeutet, entschieden, Gegner des Präsidenten zu sein. Das ist sein Recht. Und ich bin jetzt gespannt, was er sich ausgedacht hat, damit die Chilenen sich schweren Herzens von ihrem General trennen.«
Der Botschafter nahm mit einer Hand das Video von Carne und mit der anderen das Band von No , dann beugte er sich zu den Parteiabgeordneten herunter und fragte sie, ob sie in diesem Fall auf die Sarli verzichten könnten, trotz »der beiden gewichtigen Gründe, die sie mitbringt, um die Leinwand einzunehmen«.
Alle lachten herzlich, und der junge Chilene, der kürzlich aus Argentinien zurückgekommen war, Héctor Barrios, drückte auf »Play«. Der Botschafter dämpfte das Licht, und es begann die Vorstellung der fünfzehnminütigen »Nein«-Kampagne.
SIEBENUNDZWANZIG
V orstellung Nummer zwei.
Der junge Nico Santos kann bei der Voraufführung der »Nein«-Kampagne nicht dabei sein, weil zur gleichen Zeit in der Aula seiner Schule die Premiere der Höhle von Salamanca stattfindet.
In der ersten Reihe die Ehrengäste: der Rektor und der Kulturfreund Leutnant Bruna.
Nico schlüpft in seinem Kirchendienerkostüm durch den Vorhang vor zur Bühnenrampe. Mit einer tänzerischen Verbeugung bedankt er sich für den Applaus und die Zurufe seiner im Parkett sitzenden Klassenkameraden, dann bittet er um Ruhe. Er räuspert sich, weil er weiß, dass er nun die Verabredung mit seinem Vater, sich nicht in Schwierigkeiten zu bringen, verletzen wird. Er fehlt ihm, und immerhin wird er, tröstet er sich, das, was nun kommt, nicht mitbekommen. Wenn Señor Santos im Publikum säße, würde er ahnen, was Nico vorhat, und ihn mit dem Zeigefinger an den Lippen zum Schweigen mahnen.
»Verehrtes Publikum, Sie werden sich fragen, was ich hier in meiner Verkleidung als Kirchendiener mache …«
»Ja!«, rufen die Schüler.
»Ich bin eine Figur aus Cervantes’ Stück Die Höhle von Salamanca .«
»Die Lusthöhle!«, ruft ein Spaßvogel aus der letzten Reihe.
Der ganze Saal lacht. Nico beschließt, der ausgelassenen Stimmung nachzugeben, doch er verliert sein Ziel nicht aus den Augen.
»Ich hoffe, Sie werden sich bei diesem Lustspiel von Cervantes gut amüsieren. Cervantes ist lustig, nicht wahr?«
Leutnant Bruna nickt zufrieden.
»Don Quijote« , wirft der Armeeleutnant ein.
»Der Autor von Don Quijote de la Mancha «, pflichtet Nico Santos bei und würdigt den wertvollen Beitrag des Leutnants mit einem Lächeln. »Ich hoffe, das kurze Stück wird Ihnen gefallen. Wir hatten die Premiere für nächste Woche geplant, aber angesichts der beängstigenden Lage, in der Señor Paredes, der Regisseur der Inszenierung, sich befindet, haben wir die Premiere vorgezogen, um euch, liebe Mitschüler, und Sie, die Schulleitung, auf die Festnahme unseres Lehrers aufmerksam zu machen, der …« – er muss schlucken – »… bis heute in der Haft verschwunden ist.«
Den Lehrern, die neben dem Rektor und dem Leutnant in der ersten Reihe sitzen, vergeht augenblicklich das Lächeln. Der Ausdruck »in der Haft verschwunden« ist tabu. »Verschwunden« konnte man gerade noch sagen. Aber eigentlich auch nur wie in den Nachrichten mit dem Zusatz, »unter undurchsichtigen Umständen«.
Nico Santos hat die Bombe hochgehen lassen, und die Schüler schauen zur Tür, als
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