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Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Die Tage des Regenbogens (German Edition)

Titel: Die Tage des Regenbogens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Skármeta
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Lehrer: Er unterrichtet Englisch an beiden Schulen und leitet dort auch die Theatergruppen. Bei uns Cervantes (und in Klammern Pavlovsky), bei ihnen Ionesco.
    Mir bringt er Cervantes bei, Patricia Bettini Ionesco.
    Sie hat tatsächlich einen italienischen Großvater, in Florenz. Und versteht ohne Schwierigkeiten italienische Spielfilme. Die Untertitel braucht sie nicht.
    Sie singt die Lieder von Modugno und kann ein Gedicht von Leopardi: »Fratelli, a un tempo stesso, amore e morte ingeneró la sorte« (»Als Zwillinge des Schicksals Schoß entsprossen, sind Liebe und Tod Genossen«).
    Diese Gedichtzeilen sind so wahrhaftig, dass ich Gänsehaut bekomme. Mit Señor Paredes haben wir Romeo und Julia einstudiert, dort ist es genauso.
    Es ist besser für Patricia, wenn sie nach Italien geht. Sie will meinem Vater helfen. Ich hoffe, sie bringt sich damit nicht noch in Schwierigkeiten. Aber wenn sie weggeht, schneide ich mir die Pulsadern auf.
    Wie Romeo.

VIERUNDZWANZIG
    U nter den Freiwilligen, die Magdalena als Produktionsleiterin der Fernsehkampagne herbestellt hat, sind nicht wenige Sonderlinge, und Adrián Bettini, dem Exzentriker wie dieser Alarcón fremd sind, wird angst und bang.
    Ein bärtiger Student tritt an Bettini mit der Bitte heran, er möge ihm eine Frage stellen.
    »Was für eine Frage?«
    »Fragen Sie mich, was ich zu einem Diktator sagen würde.«
    »Gut«, sagt Bettini. »Mein Herr, was würden Sie zu einem Diktator sagen?«
    Der junge Mann sieht nach links, nach rechts, geradeaus, und dann streckt er seine riesige Zunge raus, auf die ein Regenbogen gemalt ist und über dem Regenbogen das Wort »Nein«. Er wartet gespannt auf die Reaktion des Werbemanns.
    »Sehr gut«, sagt Bettini.
    Doch eigentlich will er sagen, dass er sich wie in einem Narrenkäfig fühlt, so als hätten alle Chilenen Drogen genommen.
    »Wenn ich noch einen Vorschlag machen darf«, fügt der junge Mann hinzu, »Sie könnten, wenn ich die Zunge rausstrecke, dazu Löwengebrüll einspielen.«
    »Sehr gut«, sagt Bettini und versucht zu begreifen, was hier schiefläuft.
    Dann bittet Magdalena den zweiten Kandidaten herein.
    Es ist ein Feuerwehrmann.
    In voller Montur.
    Er führt zur Begrüßung die Hand an den Helm und verkündet: »Die chilenische Feuerwehr sagt ›Nein‹.«
    Bettini fällt nichts anderes ein, als den Mann zu fragen, wie er als Feuerwehrmann die »Nein«-Kampagne unterstützen könnte. Da holt der Mann hinter seinem Rücken ein Glas Wasser hervor, hebt es hoch, wie um jemandem zuzuprosten, und ahmt dazu eine Feuerwehrsirene nach: »Nein, nein, nein, nein, nein, nein, nein, neeiiiiin.«
    Als er fertig ist, lächelt er und trinkt einen Schluck Wasser aus dem Becher.
    Bettini hat den ganzen Tag noch keinen Tropfen Alkohol getrunken, trotzdem fühlt er sich benommen. Er geht nach hinten, wo er den Freund seiner Tochter Patricia entdeckt, dort sitzt Nico Santos, der an allem schuld ist, und büffelt irgendeinen Text.
    »Hast du dich auch gemeldet, weil du für die ›Nein‹-Kampagne im Fernsehen auftreten willst?«
    »Nein, Don Adrián. Ich bereite mich auf die Shakespeare-Probe bei Señor Paredes vor.«
    »Was liest du da?«
    »Macbeth.«
    »Kannst du schon eine Passage auswendig?«
    »Ja.«
    »Lass hören.«
    Der junge Mann fläzt sich auf ein blaues Kissen und stützt die Stirn in die linke Hand, und in dieser Pose lässt er Macbeth’ Worte aus sich herausfließen: »›Viel Blut wurde vergossen in den alten Zeiten, bevor der Menschen Gesetz das der Staaten milderte.‹ – ›Die Verbrechen, die damals begangen wurden, sind zu schrecklich, als dass man sie erzählen könnte.‹ – ›Es gab eine Zeit, da starben die Menschen mit zerschmetterten Schädeln, und das war das Ende.‹ – ›Doch jetzt erstehen die Toten, die Schädel durchbrochen von Verletzungen, wieder auf und jagen uns von unserem Thron.‹ – ›Das ist noch befremdlicher als das Verbrechen selbst.‹ Ich hoffe mal, dass Señor Paredes mir jetzt eine Sieben gibt«, sagt Nico Santos und überspielt ein Gähnen. »Worüber denken Sie nach, Don Adrián?«
    Bettini reibt sich die Augen und drückt sich mit zwei Fingern die Nase zu.
    »Über die Wirklichkeit. Was ist die Wirklichkeit, Nico? Shakespeare oder die Verrückten hier am Set?«
    Nico Santos steht auf und blickt ans andere Ende des Studios, wo gerade eine Gruppe Jünglinge in Balletttrikots erscheint, die alle zusammen einen Regenbogen aus Pappe hereintragen.

FÜNFUNDZWANZIG
    G estern Abend

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