Die Tage des Regenbogens (German Edition)
wären sie am liebsten nicht da.
Mit einem Fingerschnipsen fordert der Rektor Nico auf, dass sie endlich anfangen sollen.
»Vorhang auf«, sagt er so jovial, wie er kann.
Aber Nico Santos bleibt an der Rampe stehen, fiebrig erregt, und redet weiter, als wäre er von allen guten Geistern verlassen: »Insbesondere wende ich mich an Sie, Leutnant Bruna, und bitte Sie, Ihren hohen Rang und Einfluss bei der Armee geltend zu machen, damit man uns unseren geliebten Englischlehrer und Regisseur zurückgibt.«
»Ich werde mein Möglichstes tun«, versichert Bruna und nickt.
Zehn Sekunden lang, solange Stille im Saal herrscht, starren sich Santos und der Leutnant an. Bis die junge Schönheit aus dem Mädchengymnasium, die die Ehefrau spielt, auf die Bühne stürmt, um ihren Ehemann zu liebkosen. Dass ihre Tränen über seinen Abschied falsch sind, verdeutlicht sie, indem sie deren Spur über ihre Wangen mit dem Finger nachzieht.
Kaum ist der Ehemann und zukünftige Betrogene von der Bühne, schnellt ihr Zeigefinger energisch nach oben, und sie ruft: »Schlag ein, Blitz, in das Haus dieser Ehrlosen, Ana Díaz. Geh und komm nicht wieder; in Nichts aufgelöst wie Rauch.«
Aus den Kulissen heraus beobachtet Nico Santos, wie in der ersten Reihe Leutnant Bruna ungeduldig mit dem Fuß seines übergeschlagenen Beins wippt, und er hebt den Schoß seines roten Kittels, um sich den Schweiß von der Stirn zu tupfen.
ACHTUNDZWANZIG
B ettinis Lieblingssatz stammte von Albert Camus: »Alles, was ich übers Leben weiß, habe ich als Torwart beim Fußballspielen gelernt. Insbesondere, dass der Ball nie dort hintrifft, wo man ihn erwartet.«
Der Mann mit dem bitteren Gesicht, der von den anwesenden Parteienvertretern als Redner ausgewählt worden war, ließ sich vom Botschafter einen Eiswürfel für seinen Whiskey bringen und hob das Glas.
»Ich glaube, Olwyn hat falsch gelegen, Bettini. Sie sind nicht der Beste. Sie waren es.«
»Fanden Sie den Film so schlecht?«
»Harmlos wie Pfefferminzbrause. Diese offenbar ironisch gemeinte Militärparade zu dem Strauß-Walzer macht einem die Armee geradezu sympathisch.«
»Sie sind also nicht einverstanden?«
»Ein Strauß-Walzer! Es ist keine Zeit mehr, um irgendetwas zu ändern. Wir können einpacken.«
»Ein Strauß-Walzer«, wiederholte Bettini und drückte sich das Whiskeyglas an die Stirn, um sich zu beruhigen.
»Ich habe erwartet, dass Troja brennt: eine Abrechnung mit Pinochet, die in der Haft Verschwundenen, die Menschenrechte, die Folter, das Exil, die Arbeitslosen … Und Sie bringen einen Sketch nach dem anderen … Und einen Strauß-Walzer! Sagen Sie mal, Bettini …«
»Herr …«
»… Cifuentes … Was ist in Sie gefahren?«
»Ich weiß es nicht. Ich konnte jahrelang nicht arbeiten …«
»Pinochet wird das Plebiszit gewinnen, weil er Schneid hat. Sie dagegen haben nur Lieder.«
Der Werbemann murmelte etwas, und Cifuentes beugte sich zu ihm hinunter.
»Was haben Sie gesagt, Bettini?«
»Lieder und gebrochene Schlüsselbeine.«
»Reden Sie keinen Unsinn.«
»Ich rede keinen Unsinn.«
Der Botschafter umarmte sie beide und führte sie auf den Balkon.
Die Autokolonnen quälten sich durch die Avenida Vicuña Mackenna.
»Eine Katastrophe!«, rief der Botschafter aus. »Man möchte meinen, auf dieser Straße sind alle Ampeln immerzu rot.«
NEUNUNDZWANZIG
I ch reiße das Kalenderblatt ab. Im neuen Monat folgt ein Feiertag auf den nächsten. Der Nationalfeiertag, der Tag des Putschs, der Tag der Armee. Im Radio kommt die Meldung, im Monat der Nation werde es für die Inhaftierten eine Amnestie geben. Vielleicht lassen sie meinen Vater frei.
Das Plebiszit rückt näher.
Patricias Vater zieht alle drei Tage in ein neues Büro um. So versucht er zu verhindern, dass die Räume nach den Bändern mit der Anti-Pinochet-Kampagne durchsucht werden. Er will die Bilder vor den Werbeleuten der »Ja«-Kampagne geheimhalten, damit sie nicht darauf reagieren können.
Wir sitzen im Kunstunterricht. Die Lehrerin hat uns kürzlich van Goghs gelbe Sonnenblumen erklärt. Sie sagt, Farben rufen Gefühle hervor, Gemütszustände. Blau ist am traurigsten. Eine kalte Farbe, genau wie grün. Die anderen sind warme Farben. Wir sitzen still vor unseren Wasserfarbenbildern und versuchen etwas zu malen, das ein Gefühl weckt. Auf die Rückseite sollen wir schreiben, was wir mit unserem Bild ausdrücken möchten. Ich schiele auf Ches Bild. Er malt einen Gebirgszug, aber anstelle von Schnee hat
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