Die Tage des Zweifels: Commissario Montalbano träumt von der Liebe (German Edition)
offene Meer hinausfahren und sich in eine günstigere Position bringen.«
»Warum ist das Schlauchboot eigentlich nicht gekentert?«
»Zufall. Vielleicht wurde es durch gegenläufige Strömungen im Gleichgewicht gehalten.«
»Und nun zur wichtigsten Frage: Wurde das Schlauchboot Ihrer Meinung und Ihrer langjährigen Erfahrung nach von der Strömung aus dem Hafen getragen oder, gleichfalls von der Strömung, in den Hafen gedrückt?«
Montalbano spitzte die Ohren.
»Schwer zu sagen. Sehen Sie, es gibt eine permanent auslaufende Strömung. Aber aufgrund der meteorologischen Bedingungen wurde diese Strömung – wie soll ich sagen – von den stärkeren südöstlichen Strömungen aufgehoben.«
»Und was ist Ihre ganz persönliche Ansicht?«
»Ich würde mich in einem Gutachten nicht darauf festlegen wollen, würde aber sagen, dass das Schlauchboot von der auslaufenden Strömung getragen wurde.«
»Dann kam es also aus dem Innern des Hafenbeckens?«
»Was meinen Sie mit dem Innern des Hafenbeckens?«
»Den mittleren Kai zum Beispiel.«
»Nein. Wenn das Schlauchboot von dort gekommen wäre, wäre es in den östlichen Teil des Hafens gedrückt worden.«
»Und woher kam es dann Ihrer Ansicht nach?«
»Von einer Stelle näher an der Hafeneinfahrt.«
»Ich danke Ihnen, Capitano.«
Als er sich zu Bett legte, ging ihm noch ein Gedanke durch den Kopf, was ihn aber nicht daran hinderte, gut zu schlafen.
Als er am nächsten Morgen gegen neun Uhr in Vigàta ankam, fuhr er nicht ins Kommissariat, sondern zur Hafenmeisterei.
»Sie wünschen?«, fragte ihn der Wachposten, derselbe wie am Tag zuvor.
»Ich möchte mit Leutnant Garrufo sprechen.«
»Fragen Sie bei der Information.«
Der Maresciallo sah aus, als hätte er sich seit dem Vortag nicht von der Stelle gerührt. Er saß haargenau so da, und in der Hand hielt er dasselbe Kreuzworträtselheft wie am Tag zuvor. Vielleicht verließ er ja zum Schlafen seinen Platz gar nicht, und am Abend breitete ein Matrose von der Hafenbehörde eine Plane über seinen Kopf, löschte das Licht und schloss die Tür. Und am nächsten Morgen nahm jemand von der Putzkolonne die Plane ab, ging einmal mit dem Staubwedel drüber, und der Maresciallo trat erneut seinen Dienst an.
»Leutnant Garrufo?«
»Der ist nicht da.«
»Und wer vertritt ihn?«
»Leutnant Belladonna.«
»Könnte ich …«
»Einen Augenblick. Wenn ich mich recht erinnere, sind Sie Commissario Montalbano.«
Der Maresciallo nahm den Hörer ab, wählte eine Nummer, sagte etwas und legte auf.
»Der Leutnant erwartet Sie. Erster Stock, zweite Tür rechts.«
Die Tür stand offen, und nachdem Montalbano einen Blick hineingeworfen hatte, war er überzeugt, sich im Zimmer geirrt zu haben, und klopfte an der nächsten Tür.
»Ja, bitte.«
Er öffnete und trat ein. Der Offizier hinter dem Schreibtisch erhob sich. Montalbano erkannte auf Anhieb, dass er sich abermals geirrt hatte, denn der Mann hatte den Rang eines Hauptmanns.
»Ich suche Leutnant Belladonna.«
»Die Tür links von mir.«
Also doch: Leutnant Belladonna war eine Frau.
»Darf ich? Ich bin Commissario …«
»Kommen Sie herein«, sagte sie, stand auf und ging ihm entgegen.
Leutnant Belladonna machte ihrem Namen alle Ehre, sie sah hinreißend aus. Montalbano verschlug es fast die Sprache. Sie war ein Stück größer als er, hatte schwarze Haare, große strahlende Augen, rote Lippen, die keinen Lippenstift nötig hatten, und vor allem eine ungeheuer sympathische Ausstrahlung.
»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«
Schön wär’s!, dachte der Commissario.
»Ich weiß nicht, ob Sie über die Entdeckung einer Leiche durch eine Yacht informiert sind, die …«
»Ich bin darüber informiert.«
»Mich interessiert vor allem Folgendes: Muss ein Boot, das in unserem Hafen anlegen will, vorher Bescheid geben?«
»Selbstverständlich.«
»Auch bezüglich der voraussichtlichen Ankunftszeit?«
»Das ganz besonders.«
»Warum?«
»Dafür gibt es mehrere Gründe: der Schiffsverkehr innerhalb des Hafens, das Problem eines Liegeplatzes, die Verfügbarkeit eines Lotsen …«
»Verstehe. Wenn es Ihnen nicht zu viele Umstände macht, würde ich gern wissen, wie lange im Voraus die Vanna ihre Ankunft angekündigt hat.«
»Das kann ich Ihnen genau sagen. Kommen Sie mit.«
Montalbano war fasziniert vom Anblick ihres Rocks, der im Rhythmus ihrer Schritte hin und her schwang. Sie kamen an einem Kaffeeautomaten vorbei.
»Wollen wir einen Kaffee
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