Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder (German Edition)
gelingen, ein stabiles System zu konstruieren, denn nur dann unterwerfen sich die Einzelstaaten der Zentralgewalt.
Es besteht in Europa heute aber leider nicht die geringste Bereitschaft, einen solchen Bundesstaat zu schaffen. Das gemeinsame Rechtssystem und die gemeinsame Armee werden nicht kommen, solange Europa nicht von äußeren Feinden bedroht ist, die den Zusammenschluss erzwingen. Um nichts in der Welt wird Frankreich einer Vergemeinschaftung seiner force de frappe zustimmen. Die EU wird deshalb vorläufig ein Staatenbündnis ohne starke Zentralgewalt bleiben.
Die EU war bislang auch ohne die Zentralgewalt stabil, weil es keine erhebliche Umverteilung zwischen den Staaten gab. Das ganze EU-Budget liegt ja nur bei einem Prozentpunkt des BIP. Jeder hatte Vorteile und blieb freiwillig gerne dabei. Das scheinen viele zu vergessen, die jetzt in die Transferunion gehen wollen, ohne zugleich den Bundesstaat zu gründen, der allein in der Lage ist, die zentrifugalen und zerstörerischen Kräfte der Transferunion zu bändigen.
Der französische Diplomat François Heisbourg hat in der österreichischen Zeitung Der Standard ein bemerkenswertes Interview gegeben. 27 Er argumentierte, Europa brauche mehr Umverteilung zwischen den Staaten, damit es nicht das Schicksal der Sowjetunion erleide und auseinanderbreche. Ganz abgesehen davon, dass der Vergleich der EU mit der Sowjetunion verwegen ist, ist die Argumentation auch im Kern falsch, denn die Sowjetunion war durch eine erhebliche Umverteilung zwischen den Einzelstaaten gekennzeichnet, die an Ausbeutung grenzte. Die Sowjetunion brauchte den Zwang, um den Zusammenhalt zu sichern, aber wie die Geschichte gezeigt hat, lag in diesem Zwang auch der Keim der Zerstörung. Die Sowjetunion war kein faires Versicherungssystem auf Gegenseitigkeit, bei dem sich jeder ausrechnen konnte, auch selbst einmal in den Genuss von Transfers seitens der anderen Staaten zu kommen.
Nicht die Sowjetunion, sondern die USA sollten das Beispiel für Europa sein. Die USA haben ihr System in einer über zweihundertjährigen Geschichte entwickelt. Nach den schwierigen Jahrzehnten am Anfang ist doch mittlerweile ein funktionsfähiges, faires System entstanden, das die freiheitlichen Grundrechte weitgehend gewährleistet, auf eine Schuldenunion verzichtet und deshalb auch ohne eine allzu strenge Zentralgewalt funktioniert.
Wer die Eurozone zu einer Transfer- und Schuldenunion entwickeln will, die sogar Staatskonkurse verhindern kann, muss aber wissen, dass er dafür mehr Zentralgewalt braucht, als sie in den USA verfügbar ist. In einem solchen System wäre für die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Länder nicht mehr viel Platz. In den USA kann der Zentralstaat die Budgets der Einzelstaaten nicht wirksam begrenzen, und deshalb überlässt er es den Einzelstaaten, selbst mit ihren Gläubigern ins Reine zu kommen, wenn sie sich übernommen haben, also letztlich in Konkurs zu gehen. Ähnliches gilt für die Schweiz, deren Kantone ein hohes Maß an Unabhängigkeit genießen. Wer das für Europa nicht hinnehmen will, muss zwingend ein höheres Maß an zentralstaatlicher Gewalt als in den USA vorsehen. Vorstellungen, man könne opportunistisches, missbräuchliches Verhalten in einer Schuldenunion bereits durch kleine Schritte wiedie Begründung einer Fiskalunion verhindern, die zu einer zentralen Macht unterhalb des amerikanischen Bundesstaates führen und die Bildung einer gemeinsamen Nation entbehrlich machen, sind naiv.
Wer die Bildung des europäischen Bundesstaates mit einer Transfer- und Schuldenunion beginnen will, die nur durch einen Fiskalpakt begrenzt wird, spielt ein gefährliches Spiel. Er begibt sich auf einen Weg, der Konflikte und Gefahren heraufbeschwören wird, die alles andere als ein Beitrag zu einem friedlichen Miteinander sind, weil er zwischen benachbarten und befreundeten Staaten ein Gläubiger-Schuldner-Verhältnis errichtet. Der natürliche Konflikt zwischen Gläubigern und Schuldnern, der bislang in Europa stets mit den Mitteln des Rechts auf der privaten Ebene aufgelöst wurde, wird damit auf die Ebene der Politik gehoben. Dieser Weg führt nicht zum erstrebten Ziel der Vereinigten Staaten von Europa, sondern ins Chaos und diskreditiert die europäische Idee nachhaltig. Er setzt die schon erreichte Zusammenarbeit und Integration fahrlässig aufs Spiel. Nicht die Romantiker sind die besseren Europäer, sondern diejenigen, die einen realistischen Weg suchen, der im
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