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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Interesse gelegen, würde er Sergej bedenkenlos geopfert haben. Doch nach der verlorenen Schlacht von Holovczyn waren Offiziere, die noch an einen russischen Sieg glaubten, dünn gesät, und dieser Tarlow hatte seine Findigkeit und sein Geschick sowohl in Sibirien wie auch bei Sankt Petersburg bewiesen.
    Da Menschikow starr vor ihm stand und keine Anstalten machte, die leeren Gläser nachzufüllen, nahm der Zar selbst den Tonkrug zur Hand und schenkte ihnen beiden ein. »Verdammt sollst du sein, Aljuschka, aber ich muss dir Recht geben. Tot oder im Kerker nützt Tarlow uns wirklich nichts. Soll er sich im Kampf gegen die Schweden beweisen! Meinen Segen dafür hast du. Aber Kirilin, Bahadur und die übrigen Schufte werden für ihren Verrat bezahlen, das schwöre ich dir!« Es lag so viel Hass in seiner Stimme, dass Menschikow zusammenzuckte.

IV.
    Das Erwachen glich einem Albtraum, der nur aus Schmerz zu bestehen schien. Einige Zeit wusste Sergej weder, wer er war, noch, wo er sich befand. Er wagte nicht, auch nur einen Muskel anzuspannen oder gar die Augen zu öffnen, denn die kleinste Bewegung musste unweigerlich seinen Schädel sprengen. Jemand berührte sein Gesicht. Dann tropfte etwas Kaltes auf seine Stirn und brachte einen Hauch von Linderung.
    »Kannst du mich verstehen, Väterchen?« Die Stimme kam ihm bekannt vor, aber er konnte sie niemandem zuordnen, denn es gab niemanden mehr außer ihm selbst und seinen Qualen.
    Mühsam öffnete er den Mund, und wie durch ein Wunder kamen Worte über seine pelzigen Lippen. »Ja, ich verstehe dich!« Seine Zunge rieb hart und trocken am Gaumen, und gleichzeitig kämpfte er mit dem Gefühl, aus einer Kloake getrunken zu haben. Bei der Vorstellung rebellierte sein Magen, und er rang würgend nach Atem. Im gleichen Moment packte ihn jemand bei den Schultern und hielt ihn so, dass er das Erbrochene von sich geben konnte.
    »Bei der Heiligen Jungfrau von Kasan, was ist nur in Euch gefahren, Sergej Wassiljewitsch? Ich bin ja keiner, der einem Mann einen guten Rausch missgönnt. Aber was Ihr getrieben habt, war wirklich zu viel. Ich bin fast vor Angst gestorben, als es hieß, Ihr wäret verhaftet worden. Dann sind wir hierher beordert worden – und was muss ich hören? Man sagte uns, Ihr hättet Euch mit dem Zaren und dem Fürsten Menschikow auf ein Wettsaufen eingelassen und es verloren! Die beiden Herren sind heute Morgen frisch und munter aufgebrochen, aber Ihr liegt immer noch halbtot herum. Ich fürchte, Ihr werdet noch eine Weile nicht in der Lage sein, auf dem braven Moschka zu sitzen. Dabei haben wir den Befehl, gleich abzurücken. Sollen wir eine Deckezwischen zwei Pferde spannen und Euch hineinlegen oder Euch über Moschka hängen, damit Ihr besser kotzen könnt?«
    Sergej kam ein wenig zu sich. »Wanja! Das kannst nur du sein!«
    »Wer sollte sich sonst um Euch kümmern als der alte Iwan Dobrowitsch?«, kam es gekränkt zurück.
    »Was ist geschehen? Ich …« Sergej fasste mit beiden Händen nach oben und berührte etwas, das sich mehr nach einem aufgequollenen Kürbis anfühlte als nach seinem Kopf.
    »Ihr hattet einen Mordsrausch. Wenn Bahadur Euch in diesem Zustand gesehen hätte, wäre er entsetzt gewesen. Aber der dumme Junge musste ja desertieren, und wenn sie ihn nun kriegen, werden sie ihn einen Kopf kürzer machen.«
    »Dann bete, dass sie ihn nicht erwischen!« Sergejs Stimme hörte sich nun kräftiger an, aber das nachfolgende Stöhnen verwischte diesen Eindruck wieder. »Ich bin schuld, Wanja! Bahadur ist geflohen, weil ich ihn geschlagen habe.«
    »Jetzt, wo das Kind im Brunnen liegt, helfen Euer Jammern und Eure Selbstanklagen auch nichts mehr. Seht lieber zu, dass Ihr auf die Beine kommt! Wir sind jetzt Menschikow unterstellt und sollen uns auf die Jagd nach feindlichen Patrouillen begeben, um sie niederzumachen oder – wenn sie zu zahlreich sind – zu unseren eigenen Verbänden zu locken. Ihr wolltet ja unbedingt in den Kampf gegen die Schweden ziehen, also steht auf und tut es!« Wanjas Stimme war deutlich anzuhören, dass er sich nach Sibirien zurücksehnte, wo es nur ein paar aufmüpfige Tataren gab, aber keine blutrünstigen Schwedenungeheuer.
    Sergej spie aus, ohne den üblen Geschmack loswerden zu können, der in seiner Kehle haftete, und öffnete dann vorsichtig die Lider. Die helle Mittagssonne stach wie Dolchspitzen in seine Augen, und er stöhnte erneut auf. Erst allmählich begann er seine Umgebung zu erkennen. Er lag auf einer Matte in

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