Die Tatarin
weiter!«, rief er den Soldaten in der Nähe zu, die ihren König sofort hochleben ließen.
Für Schirin hätte es keinen größeren Gegensatz geben können als die Begeisterung der einfachen Krieger zu der Haltung der von Carl abgekanzelten Generäle. Die schwedischen Musketiere und Dragoner schienen danach zu gieren, den Russen entgegenzutreten, denn sofort klangen Lieder auf, die den Schwedenkönig und seine Schlachten verherrlichten, und ein Mann rief lachend, dass man den Russen zeigen würde, was ein Schwede, und deren Weibern, was ein Mann sei. Seine Kameraden nahmen diesen Ausspruch jubelnd auf und ergingen sich in anzüglichen Bemerkungen über die körperliche Beschaffenheit der Russinnen, die sie bereits vergewaltigt hatten.
Schirin schüttelte sich, als sie die rohen Worte vernahm, mit denen die Männer jene Freuden beschrieben, nach denen sie sich sehnten.Wenn ihre Ankündigungen auch nur entfernt der Wahrheit entsprachen, gingen Kangs und Ischmets Steppenwölfe mit gefangenen Frauen weniger brutal um.
Etwas von der Kampfbegeisterung der Schweden drang auch in Ilgurs schnapsumnebelte Gedanken. Er wankte auf einen der Männer zu, fiel ihm um den Hals und sprach ihn in dem Gemisch aus verballhorntem Schwedisch und schlechtem Russisch an, mit dem die Russen und Sibirier sich mit ihren Wachen zu verständigen suchten. »Russische Weiber muss man kräftig durchprügeln, damit sie richtig in Hitze kommen! Ich sage dir, wenn du das tust, dann kannst du mit ihnen machen, was du willst.« Mehr hörte Schirin nicht, denn sie wandte sich um und ging mit schnellen Schritten zu dem Teil des Lagers zurück, in dem sie und die übrigen Leute aus Kirilins Trupp untergebracht waren. Dort fand sie den Hauptmann und die anderen in hellster Aufregung, denn der Beschluss des Schwedenkönigs, das Lager abbrechen zu lassen und weiterzumarschieren, war bereits bis zu ihnen gedrungen. Noch wussten die Männer nicht, wohin der Weg sie führen würde, doch in ihren Augen war alles besser als die Untätigkeit, zu der man sie gezwungen hatte.
Schirin spürte Hände, die ihr auf die Schultern klopften, hörte das Lachen und die trunkene Freude, mit der ihre Schicksalsgefährten die Veränderung willkommen hießen, und wurde von mehr als einem umarmt und geküsst. Näher daran, als Frau erkannt zu werden als jetzt, war sie nicht einmal in jener Badestube im Kreml gewesen. Zu ihrem Glück achtete keiner auf ihren Busen, der trotz der festen Bänder spürbar auftrug, und ihre normalerweise unter dem Kaftan gut verborgenen Hüften, die inzwischen kräftiger geworden waren, als es bei einem jungen Mann der Fall sein sollte.
»Jetzt geht es Pjotr Alexejewitsch an den Kragen!« Kirilin reckte seinen Säbel gen Osten und ließ ihn durch die Luft pfeifen, als wolle er dem Zaren auf hundert Werst eine tödliche Wunde beibringen. Schischkin und zwei Fähnriche, die aus den ältesten und edelsten Familien Russlands stammten, fielen fröhlich in seinen Schlachtrufein und gebärdeten sich in Schirins Augen wie die Knaben aus ihrem Stamm, die auf Schafen reitend mit Haselstöcken ihre ersten Schlachten ausfochten. Schirins Gefühle waren zwiespältig. Der Weitermarsch der Schweden würde sie näher zu Sergej bringen, der sich von ihr verraten fühlen musste und dem sie doch intensivere Gefühle entgegenbrachte, als sie es sich in dieser Situation erlauben konnte.
Sie hatte schon in der einen oder anderen Nacht von ihm geträumt und seine Hände zärtlich in den ihren gehalten. Als sie sich an diesem Abend in ihre Decke hüllte und trotz des im Lager herrschenden Lärms einschlief, nahmen diese Träume eine beschämende Intimität an. Sergej war mit einem Mal nicht mehr nur ein Freund, sondern ein Mann, der das Letzte von ihr forderte. Sie spürte seine Lippen auf den ihren, während seine Hände über ihren Körper wanderten und ein Feuer darin entfachten, das nicht mehr zu löschen war.
»Ich liebe dich!«, flüsterte sie und stellte erschrocken fest, dass sie die Worte im Erwachen laut ausgesprochen hatte. Sie richtete sich auf, um zu sehen, ob jemand sie gehört hatte, doch um sie herum erklang nur das trunkene Schnarchen der übrigen Schläfer. Sie versuchte, wieder einzuschlafen, doch ihre Gefühle waren zu aufgepeitscht, um Ruhe zu finden. Da die Luft wegen der vielen Männer im Zelt voll unangenehmer Gerüche war, schlug sie ihre Decke zurück, schlüpfte in ihren Kaftan und schlich zum Eingang. Als sie nach draußen trat, sah sie das
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