Die Tatarin
Mist und toten Tieren zu verseuchen, und allgemein war zu erkennen, dass sich die Armee immer noch vor dem Feind zurückzog. Am späten Nachmittag überquerten sie den Dnjepr und erreichten das Dörfchen Glinka, das ein paar Dutzend Werst östlich von Smolensk lag. Auch hier war bereits alles verwüstet, aber ein paar Zelte zeugten von der Anwesenheit eines russischen Vorpostens. Die Wachtposten waren jedoch keine Kosaken oder einfache Soldaten, sondern sechs Unteroffiziere der Preobraschensker Garden, und am Fahnenmast neben dem größten Zelt flatterte das Zarenbanner mit dem doppelköpfigen gekrönten Adler, der das Bildnis des heiligen Georg als Brustschild trug.
Die Kosaken zügelten ihre Pferde erst kurz vor den Wachen, und ihr Anführer wies Sergej an, abzusteigen. Dann streckte er fordernd die Hand nach dessen Säbel aus. Es tat Sergej in der Seele weh, die Waffe abgeben zu müssen, doch angesichts der auf ihn angeschlagenen Flinten blieb ihm keine andere Wahl.
»Der Gefangene Sergej Tarlow!«, meldete der Anführer den Wachtposten. Die Gardesoldaten musterten Sergej unfreundlich, undzwei von ihnen richteten die Gewehre auf ihn, während ein dritter in das Zelt trat. »Väterchen Zar, Tarlow ist hier«, hörte Sergej ihn sagen. Im selben Augenblick scholl die Stimme des Zaren wie ein Donnerschlag auf.
»Bringt diesen verräterischen Hund herein!«
»Vorwärts!« Die beiden Gardisten stießen Sergej zum Eingang und befahlen ihm mit beredten Gesten, dahinter stehen zu bleiben. Sergej kniff die Augen zusammen, um im Dämmerlicht des Zeltes besser sehen zu können. Der Zar stand in der Uniform eines Generalleutnants der Artillerie neben einem Tisch, auf dem eine große Landkarte lag, und wandte ihm nun sein zorndunkles Gesicht zu.
»Gestehe, du Hund!«
Sergej starrte den Zaren verdattert an. »Euer Majestät, ich … ich weiß nicht, was ich gestehen soll!«
»Was, du weißt es nicht?« Der Zar hob die Hand, als wolle er ihn schlagen. Im dem Augenblick fand es ein weiterer Mann, der sich im Zelt aufhielt, an der Zeit, sich einzumischen.
»Euer Majestät, erlaubt mir, mit dem Gefangenen zu sprechen.« Der Zar brummte ungehalten, nickte aber und trat einen Schritt zurück. Dabei ließ er den Hauptmann nicht aus den Augen.
Gleichzeitig trat der andere Mann auf Sergej zu und blieb so nahe vor ihm stehen, dass dieser seinen Atem auf den Wangen spüren konnte. Es war Fürst Menschikow, ein Feldmarschall des Zaren und gleichzeitig Pjotr Alexejewitschs engster Vertrauter, und er war nicht gerade als Menschenfreund bekannt. Aus kleinsten Verhältnissen stammend hatte er sich mit Kraft und Energie hochgearbeitet und musste auch jetzt noch alles tun, um seinen Platz an der Seite des Zaren zu behaupten.
Während der Zar eine eher schlichte Uniform trug, war Fürst Menschikow wie immer prächtig gekleidet. Er trug rote Kniehosen aus Seide, eine lange blaue Weste, einen vor Goldverzierungen strotzenden Rock in der Farbe der Hosen und anstelle eines Gürtels eine Schärpe mit Goldquasten. Der Degen an seiner Seite war wenigeraufgrund seiner Eigenschaften im Zweikampf gewählt worden als vielmehr des goldenen Griffs und der über und über mit Edelsteinen besetzten Scheide wegen. Auch der Dreispitz des hohen Herrn wies auf seinen Rang hin, denn er war aus bestem schwarzem Filz und mit einer goldenen Borte und weißen Federn verziert. Am auffälligsten fand Sergej jedoch die weit auf den Rücken fallende Allongeperücke aus Echthaar, die selbst am Hofe des Sonnenkönigs in Versailles Bewunderung erregt hätte.
»Nun, was ist los, warum verhörst du den Kerl nicht?«, polterte der Zar, als Menschikow seiner Ansicht nach zu lange wartete.
»Verzeiht, Euer Majestät, ich werde sofort damit beginnen.« Menschikow lächelte wie ein Kater, vor dessen Nase die Maus gerade ihr Loch verlässt, und legte Sergej die rechte Hand auf die Schulter. »Sprich, Söhnchen, was weißt du über diese Verräter, die zu den Schweden übergelaufen sind?«
Sergej zwinkerte verwirrt mit den Augen. »Welche Verräter, Euer Gnaden?«
Menschikow wandte sich kurz an den Zaren. »Er weiß es wirklich nicht.«
Pjotr Alexejewitsch schnaubte nur verächtlich. »Dumm stellen kann sich jeder!«
»Bitte – was hat es mit diesen Verrätern auf sich?« Sergej beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Der Zar warf ihm einen düsteren Blick zu, während sich Menschikows Raubtierlächeln noch verstärkte.
»Vor einigen Tagen sind etwas mehr als
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