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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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hätten wir heute schon eine Fahne erobert, denn unsere Galeeren sind einer Fregatte des Feindes recht nahe gekommen.« Der Zar klopfte Sergej auf die Schultern und sah Apraxin auffordernd an. »Nun, Euer Gnaden, wäre unser Erfolg nicht ein Grund zum Feiern? Ich wüsste keinen Tag, an dem es angebrachter wäre, die Wodkagläser zu erheben und auf die Gesundheit Seiner Majestät, des Zaren, zu trinken!«
    Schirin hatte Mühe zu begreifen, warum der Zar über sich selbst sprach, als wäre er eine andere Person, und sagte sich, dass sie das Wesen des Beherrschers aller Russen wohl niemals würde ergründen können. Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie von diesem Menschen in seiner ganzen Widersprüchlichkeit fasziniert war. Sie nahm sich vor, in den nächsten Tagen Sergej über den russischen Khan auszufragen. Dabei erinnerte sie sich daran, dass der Zar sie und die übrigen Geiseln in sein Heer eingliedern wollte. Das würde vermutlich bedeuten, dass sie und Sergej schon bald getrennt würden, und sie stellte verwundert fest, dass dieser Gedanke ihr das Herz schwer machte. Irgendwie hatte sie sich an die Gegenwart des Offiziers gewöhnt und wollte sie nicht missen,vielleicht weil er trotz dessen, was an der Burla geschehen war, ein Band zu ihrer Heimat darstellte.
    Er ist nur ein verrückter Russe wie die anderen auch, versuchte sie sich einzureden, aber sie vermochte das schmerzhafte Gefühl in ihrer Brust nicht zu vertreiben. Wenn es ihr möglich gewesen wäre, hätte sie sich in einer dunklen Ecke verkrochen, um sich ihren trüben Gedanken hinzugeben, aber Pjotr Alexejewitsch gab sie nicht frei. Ehe Schirin wusste, wie ihr geschah, saß sie notdürftig gesäubert neben ihm in einem Boot, das zum Menschikow-Palast fuhr, und wurde an der Spitze einer bunt gemischten Gruppe in einen bereits fertig gestellten Saal geführt. Dort setzte man sie auf den Ehrenplatz, der eigentlich dem Zaren oder dem Hausherrn vorbehalten war.
    Draußen war noch heller Tag, und doch brannten Hunderte von Kerzen in dem Raum. Das Licht wurde von den Kristalllüstern an der Decke und den goldgeschmückten Wänden zurückgeworfen, brach sich in gläsernen Pokalen und Karaffen, die auf dem langen, mit einer reich bestickten Decke verhüllten Tisch standen, und ließ die goldenen Statuen in den prachtvoll geschmückten Wandnischen wie lebendig wirken. Bei diesen handelte es sich um Knaben oder bärtige Männer mit kräftigen Muskeln, die so naturgetreu dargestellt waren, als wollten sie jeden Augenblick von ihrem Sockel steigen. In anderen Nischen standen Frauenfiguren mit schwellenden Brüsten und ausladenden, aber wohlgestalteten Hinterteilen, die ihre Scham meist mit einer Hand oder einem Tuch bedeckten, das sogar in Stein gehauen noch durchscheinend wirkte. Über und zwischen den Standbildern hingen Bilder in reicher Zahl, Porträts, die so lebensecht wirkten, als blickten die Dargestellten selbst aus den Rahmen, und gewaltige Schlachtenszenen, deren Waffen und Rüstungen bis in das feinste Detail ausgearbeitet waren.
    Diese Umgebung schüchterte Schirin ebenso ein wie die Tatsache, dass man sie zur Rechten des Zaren platziert hatte, der seinen blutbefleckten Rock wie ein Ehrengewand trug. Zu seiner Linken saß Jekaterina, die Wanja als seine Nebenfrau bezeichnet hatte. DieDame hatte ihre bäuerlich anmutende Kleidung gegen ein weites Seidenkleid vertauscht, dessen Ausschnitt ihren festen Busen in einer Schirin schockierenden Weise preisgab. Der Zar schien den Anblick zu genießen, denn er beugte sich über seine Favoritin und gab ihr einen schallenden Kuss auf die schwellende Pracht.
    »Feiert!«, rief er seinen Gästen zu, unter denen sich eine Reihe Adelige und Offiziere befanden, die Schirin unauffällig, aber sehr neugierig musterten.
    Das Wort des Zaren schien das Zeichen für die Diener gewesen zu sein, denn es quollen immer mehr Männer in uniformähnlicher Tracht in den Saal. Sie trugen goldene Tabletts und offerierten die darauf liegenden Speisen zuerst dem Zaren, dann Jekaterina und als Drittem Schirin. Die junge Tatarin starrte misstrauisch schnuppernd auf all diese fremdartigen Dinge und wünschte, Sergej würde neben ihr sitzen. Ihn hätte sie fragen können, in welchem Gericht Fleisch oder Fett vom Schwein verarbeitet worden war und auch so manches andere. Zu ihrem Leidwesen hatte man jedoch Marfa Alexejewna zwischen sie und Sergej gesetzt. Die Dame war, wie Schirin mittlerweile erfahren hatte, eine entfernte Verwandte der

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