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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wartete nicht, bis sie sich aufgerafft hatte, sondern rannte zu einem der sechs Vierpfünder, die auf dem Deck der Nikofem standen, lud ihn in fliegender Eile und richtete ihn eigenhändig auf das vorderste Schiff.
    Dort beobachtete man seine Bemühungen und quittierte sie mit Gelächter. Einer der Offiziere baute sich am Bug auf. »He, Iwan! Was willst du mit dieser Knallbüchse ausrichten? Ergib dich lieber, dann hast du den Krieg und deinen Zaren hinter dir!«
    Pjotr Alexejewitsch kniff die Lippen zusammen, nahm noch einmal Maß und feuerte. Es gab nur einen schwachen Knall, doch auf Deck des Schweden erscholl wütendes Gebrüll. Schirin sah, wie derFockmast des feindlichen Schiffes sich langsam neigte und die Taue, die ihn hielten, eines nach dem anderen riss. Es war, als würde eine gewaltige Axt durch die feindliche Takelage fahren. Rahen und Segel gingen über Bord, und das Schiff fiel zurück. Die beiden anderen Fregatten aber beantworteten den Jubel der Russen über den gelungenen Schuss ihres Zaren mit je einer Salve.
    Holz splitterte, und im Segel des Großmasts zeigte sich ein Riss, der rasend schnell wuchs. Die Sankt Nikofem verlor an Geschwindigkeit, und die beiden Feindschiffe nahmen den Gaffelschoner in die Mitte, als wollten sie ihn zwischen sich zerquetschen. Pjotr Alexejewitsch gab noch einen weiteren Schuss ab, verfehlte aber den anvisierten Mast und traf nur ein paar schwedische Matrosen, die sich grölend und Waffen schwingend zum Entern bereit gemacht hatten. Unbeeindruckt vom Tod ihrer Kameraden warfen die Skandinavier Enterhaken aus, banden die Sankt Nikofem zwischen ihren Schiffen fest und stürmten das Deck.
    Ehe Schirin es sich versah, steckte sie mitten im Getümmel. Stahl schlug auf Stahl, Flüche erfüllten die Luft, und dazwischen erklangen schrille Schreie, die ebenso Wut wie Schmerz ausdrückten und oft genug abrupt endeten. Die Schweden waren nicht darauf aus, Gefangene zu machen, sondern töteten auch die Verwundeten, die um Gnade flehten, oder stießen sie über Bord. Ein baumlanger Axtkämpfer stürmte auf Schirin zu und holte so weit aus, als wolle er einen Baumstamm fällen. Wie in Trance tauchte sie unter seinem Arm hinweg und stieß zu. Die Klinge schnitt durch dicke Muskelpakete und drang von unten direkt ins Herz. Im ersten Moment machte die Kampfwut auf dem Gesicht des Schweden einem verwunderten Ausdruck Platz, dann trat Blut über seine Lippen, und er fiel rücklings zu Boden. Schirin aber stand wie gelähmt über ihm, denn nie zuvor hatte sie einen Menschen getötet.
    Das knirschende Geräusch, mit dem eine scharfe Klinge Knochen durchtrennte, brachte sie wieder zu sich. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass ein anderer Schwede den Säbel erhoben hatte, um ihrden Schädel zu spalten, und mit erstauntem Gesicht in sich zusammenklappte. Hinter ihm stand Sergej mit blutiger Klinge und lächelte ihr freudlos zu. Schirin begriff, wie haarscharf sie dem Tod entronnen war, raffte den letzten Rest an Mut zusammen und hob ihren Säbel, um den nächsten Angreifer abzuwehren.
    Die Überlebenden der Sankt Nikofem wurden von den anstürmenden Gegnern wie Schlachtvieh auf dem Achterdeck zusammengetrieben, und es schien nur noch eine Sache weniger Augenblicke, bis der Letzte von ihnen tot war. Da übertönte der Klang einer schweren Kanone den Kampflärm. Schirin hörte Holz splittern und nahm an, die Sankt Nikofem sei getroffen worden. Dann aber sah sie die Fetzen eines schwedischen Segels über sich im Wind flattern. Weitere Kanonenschüsse folgten, und nun begriff jeder an Bord, dass die Geschosse in die Rümpfe der schwedischen Schiffe einschlugen.
    Auf dem Segler, dessen Fockmast der Zar gekappt hatte, war es den Schweden inzwischen gelungen, das niedergegangene Gut zu kappen und über Bord zu werfen. Kaum aber hatten sie Kurs auf ihre Kameraden genommen, um der Sankt Nikofem den Rest zu geben, hörten sie das Kanonenfeuer. Der Steuermann warf nur einen Blick nach vorne auf die neu aufgetauchten Gegner und begann dann hektisch das Ruder herumzuwerfen, so dass sein Schiff mit killenden Segeln herumschwang. Die Schweden an Bord der Sankt Nikofem sahen sich um, entdeckten die sich nähernde Flotte, die aus gut einem Dutzend Galeeren bestand, und schienen einen Augenblick wie zu Salzsäulen erstarrt. Zu ihrem Glück waren die erschöpften Verteidiger nicht mehr in der Lage, diesen Vorteil zu nutzen, und so gelang es den Angreifern, sich von ihnen zu lösen und auf ihre Schiffe

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