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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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sich auf den Mund und sah sich hastig um. Mit Ausnahme von Schirin und Marfa Alexejewna aber waren die Leute im Saal längst jenseits von gut und böse.

V.
    Obwohl die Feier bis tief in die Nacht gegangen war, versammelte der Zar um acht Uhr morgens seine engsten Getreuen nach einem für die meisten viel zu kurzen Schlaf in seinem Haus. Während die Männer um ihn herum sichtlich unter den Folgen des Besäufnisses litten, war Pjotr Alexejewitsch nicht das Geringste anzumerken. Seine Augen erfassten jede Kleinigkeit, und seine Energie entlud sich in einer Reihe scharf formulierter Anweisungen und Befehle. Fjodor Apraxin und die übrigen Offiziere hatten Mühe, seinen Worten zu folgen, und fragten immer wieder nach.
    Der Zar verzog seine Lippen zu einem boshaften Lächeln. »Wenn ich euch so ansehe, glaube ich, ihr könntet ein Bad in der Newa brauchen.«
    »Mir würden ein Eimer kaltes Wasser und ein Lappen reichen, mit dem ich meine Stirn kühlen kann«, antwortete Apraxin mit heiserer Stimme. Er war einer der wenigen Gefolgsleute, die sich gegen die derben Scherze des Zaren zur Wehr zu setzen wagten. Da Pjotr Alexejewitsch wusste, was er an diesem Bojarenspross hatte, hielt er sich ihm gegenüber ein wenig zurück. Diesmal aber nahm er Apraxins Wunsch wörtlich und schickte einen Diener, Lappen und kaltes Wasser zu besorgen.
    »Ich glaube, ihr habt es alle nötig, eure Stirnen zu kühlen und dabei ein Glas Wodka zu trinken. Das vertreibt den Kater schneller als ein Gebet«, rief er lachend und wies die anderen Diener an, allen ein volles Glas zu reichen.
    Ein paar der Männer zuckten schon bei dem Geruch zusammen, doch keiner wagte, den Schnaps zurückzuweisen. Sie tranken und husteten dabei zum Gotterbarmen, aber als die Diener jedem von ihnen die Stirn mit kaltem Wasser befeuchtet hatten, zeigten sie genug Disziplin, um den Ausführungen des Zaren folgen zu können.Pjotr Alexejewitsch blickte jeden Einzelnen von ihnen an, als wolle er ihm bis in die Seele schauen, und lächelte über die Spannung, die sich auf den gequälten Gesichtern breit machte. »Heute Nacht brachte ein Kurier die sichere Kunde, dass das Heer der Schweden sich darauf vorbereitet, im nächsten Frühjahr nach Russland einzufallen.«
    Einige der Anwesenden atmeten sichtlich auf, denn aufgrund der herumschwirrenden Gerüchte hatten sie die Schweden bereits im Land stehen sehen. Der Zar ließ ihnen einige Augenblicke Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. »Carl XII. hat die Zeit genützt, um seine Armeen zu verstärken und neue Rekruten auszubilden. Nach den Berichten meiner Spione plant er, in drei Heersäulen nach Russland einzumarschieren.«
    General Nikita Repnin hob abwehrend die Hände. »Haben diese Spione ihm bei der Planung seines Feldzugs über die Schulter schauen können?«
    Pjotr Alexejewitsch schüttelte lächelnd den Kopf. »Die Nachricht kommt frisch vom Hof des deutschen Kaisers. Dessen Höflinge haben sie von einem Minister des französischen Königs erhalten, der einigen ansehnlichen Geschenken gegenüber nicht abgeneigt war. Der Mann wiederum hat General Lewenhaupts Sekretär bestochen und wird von diesem über die Befehle Carls XII. auf dem Laufenden gehalten.«
    »Das nennt man Nachrichten aus erster Hand!«, warf Fjodor Apraxin spöttisch ein.
    Der Zar ließ sich nicht beirren. »Es sind die einzigen, die wir haben, und ich glaube, sie entsprechen der Wahrheit. Die Schweden haben sich in den letzten Jahren in Sachsen fett gefressen, und ihr König giert nach neuem Ruhm. Der Krieg, der im Westen um Spaniens Krone ausgefochten wird, interessiert ihn nicht, weil er ihm höchstens Subsidien von den Franzosen einbringt, aber keinen Landgewinn. Carl XII. will Ingermanland zurück, um die Landbrücke vom Baltikum nach Finnland wieder in seine Hand zu bekommen und uns von der Ostsee abzuschließen.«
    Pjotr Alexejewitsch stieß zornig den Atem aus und blickte seine Offiziere und Saufkumpane an, als wolle er jeden auch nur gedachten Widerspruch im Keim ersticken. »Eher wird Russland zugrunde gehen, als dass ich Sankt Petersburg aufgebe!«
    Es klang wie ein Schwur, aber auch wie eine Drohung. Einige der Männer sahen sich beklommen an, aber es wagte keiner die Frage zu stellen, die ihnen allen auf der Zunge lag, nämlich ob Russland überhaupt in der Lage war, einen Krieg mit den Schweden zu führen. General Gjorowzew, der erst in der Nacht in Sankt Petersburg eingetroffen war und dadurch die Siegesfeier versäumt hatte,

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