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Die Tatarin

Titel: Die Tatarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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der hob begütigend die Rechte. »Ihr habt ein wahres Wort ausgesprochen, Brüderchen Iwan Iljitsch. Wir sollten uns später noch einmal darüber unterhalten, an einem Ort, an dem wir vor den Ohren übel gesinnter Leute sicher sind.«
    Fjodorow schluckte, denn Gjorowzews Vorschlag enthielt die Aufforderung zum Hochverrat. Dann aber versuchte er, sich das Heer von mehr als einhunderttausend Schweden vorzustellen, das Russland überschwemmen und alles hinwegfegen würde, wenn niemand den Versuch unternahm, sich auf gütlichem Wege mit dem Schwedenkönig zu einigen. »Wenn Ihr wollt, komme ich gleich mit Euch, Pawel Nikolajewitsch.«
    Gjorowzew nickte zufrieden. Auch wenn Fjodorow nur Oberst war, so konnte er der erste Artillerieoffizier sein, den er für die Sache des Zarewitschs gewann und der ihm half, seine eigenen Pläne in die Tat umzusetzen. Solange er nicht selbst über Geschütze verfügte, war ein Aufstand gegen den Zaren Selbstmord. Fjodorowkannte gewiss noch andere Offiziere seiner Waffengattung, denen wenig daran gelegen war, ihre Kanonen an die Schweden zu verlieren. »Kommt mit, Iwan Iljitsch. Das Essen ist ohnehin zu Ende, und wir haben noch viel zu erledigen.«
    Die beiden Offiziere salutierten vor dem Zaren und baten, sich entfernen zu dürfen. Pjotr Alexejewitsch nickte, ohne die Männer richtig wahrzunehmen, denn seine Gedanken beschäftigten sich mit der drohenden Gefahr aus Nordwesten, und seine Finger zeichneten die möglichen Anmarschwege der Schweden auf der Karte nach.

VI.
    Gjorowzew blieb noch einmal stehen und blickte auf das Haus des Zaren zurück. Obwohl das Gebäude größer war als die meisten anderen Häuser in Russland und jeder Bauer und eine beträchtliche Anzahl Städter froh gewesen wären, darin wohnen zu dürfen, spie er verächtlich aus. »Was ist das für ein Zar, der in einer solch elenden Hütte haust! Es wird Zeit, dass sich das wieder ändert. Folgt mir, Iwan Iljitsch.«
    Mit diesen Worten ging der General auf die Anlegestelle der Fähre zu und herrschte die beiden Knechte an, sich zu beeilen, wenn sie nicht seine Peitsche zu spüren bekommen wollten. Die Männer lösten die Leinen und legten sich in die Riemen. Auf seinem Weg kam der Prahm an der Peter-und-Paul-Festung vorbei, die mit den zur Arbeit gezwungenen Männern und Frauen wie der Mittelpunkt eines Ameisenhaufens wirkte. Man konnte schon erkennen, wie wehrhaft das fertige Bauwerk sein würde, doch die beiden Offiziere zeigten sich wenig beeindruckt.
    »Die schwedischen Kanonen werden Pjotr Alexejewitschs Spielzeug rasch zu Kleinholz machen«, spottete Fjodorow und fragte, wohin Gjorowzew ihn bringen wolle.
    »Zu sehr guten Freunden«, antwortete der General orakelhaft und deutete auf eine Anlegestelle. »Wir wollen dort drüben aussteigen.«
    Die Knechte lenkten ihr Gefährt gehorsam ans Ufer und sahen regungslos zu, wie die beiden Offiziere an Land sprangen, ohne die für ein Trinkgeld ausgestreckten Hände zu beachten. Während sie mit mürrischen Gesichtern zurückruderten, näherten Gjorowzew und sein Begleiter sich einer kleinen Holzkirche mit einem Kuppelturm, die zwischen den lang gestreckten Gebäuden eines Klosters stand. Gjorowzew trat auf eine Tür zu und klopfte. Kurz darauföffnete ihnen ein noch recht junger, bärtiger Mann, der mit einer schwarzen, härenen Kutte bekleidet war.
    »Euer Ehren wünschen?«, fragte er mit einer tiefen Verbeugung. Sein Blick verriet, dass er Gjorowzew kannte, sich aber über dessen Begleiter wunderte.
    »Wir wollen zu Seiner Hoheit, dem Zarewitsch«, erklärte Gjorowzew knapp. Neben ihm schnaufte Fjodorow überrascht.
    Der Mönch zögerte. Gjorowzew machte eine beruhigende Geste und wies auf seinen Begleiter. »Dieser Mann ist ein guter Freund, der dem Zarewitsch seine Ergebenheit bekunden will.«
    »Dann ist er uns willkommen.« Der Mönch ließ die Offiziere ein und führte sie in einen Gang, der nur hie und da durch einfache Unschlittlampen beleuchtet wurde und in dem man daher kaum zwei Schritt weit sehen konnte. Fjodorow fiel trotz der spärlichen Helligkeit auf, dass die Baumstämme, aus denen die Wände bestanden, nur roh behauen waren und teilweise sogar noch Reste der Rinde trugen. Auch in der Kammer, in die man sie brachte, sah es nicht besser aus. Hier gab es keine Verzierungen aus Blattgold und keine Ikonen in juwelenbesetzten Rahmen, die die Klöster und Kirchen in Moskau, Susdal und vielen anderen russischen Städten schmückten.
    Gjorowzew bemerkte die

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