Die Teeprinzessin
Tee mit in das neue Land genommen. Die Frauen hier haben die Pakete alle wieder zusammengenäht! Und sie haben dir ein bequemes Baumwollkleid nach der amerikanischen Mode bereitgelegt. Das solltest du jetzt anziehen.«
Betty war langsam auf die Straße getreten. Sie erkannte ihre Teepakete sofort. Sie waren auf einem großen Wagen gestapelt, vor den zwei Maultiere gespannt waren. Alle Pakete hatten jetzt mehr Nähte als zuvor, die mit roten Seidenbändern vernäht waren.
»Das ist mein Tee!« Beinahe blieb Betty die Luft weg. Das Blut stieg ihr vor Scham ins Gesicht. Wie hatte sie ihre Mitreisenden nur der Plünderung verdächtigen können? Sie griff nach Sikkis Hand, aber die machte sich vorsichtig von ihr los.
Neben dem Wagen stand Lisis Mann. Er lächelte. Dann verbeugte er sich leicht. »Tante Wang hat angeordnet, dass Sie in einer Kutsche der Butterfield Overland Mail bis St. Louis mitfahren. Sie sollten sich jetzt umziehen und dann werden wir Sie sogleich zur Poststation bringen. Ein zweiter Wagen mit dem Tee wird Ihnen folgen. Die Leute von Butterfield warten eigens auf Sie. Die Passage für Sie beide und für die Ware ist bis St. Louis bezahlt. Normalerweise duldet Mister Butterfield
es nicht, dass etwas anderes als Post oder Passagiere befördert wird. Für Tante Wang macht er aber selbstverständlich eine Ausnahme!«
»Ich würde mich gern bei Ihren Leuten bedanken. Und natürlich bei Tante Wang!«
Lisis Mann hob erschrocken die Hände. »Bitte nicht! Tante Wang ist sehr glücklich, Sie und Ihre Ware auf den Weg gebracht zu haben. Und nun beeilen Sie sich bitte. Mister Butterfield tut Tante Wang sehr gern einen Gefallen, zumal er in Geldnöten sein soll und Wells und Fargo ihm im Nacken sitzen, aber er ist nicht ihr Diener!«
3
Betty hatte sich eine von den Kutschen vorgestellt, die sie bislang gesehen hatte, damals in ihrer Heimat. Und sie hatte gedacht, dass der Weg bis zum Atlantik sehr weit war, vielleicht doppelt so weit wie der Weg von Emden nach Hamburg. Sie täuschte sich in beiden Fällen. Aber das mochte wohl daran liegen, dass sie sich immer nur Dinge vorstellen konnte, die sie schon einmal erlebt hatte. Die Reise mit Butterfield Overland Mail indes war anders als alles, was sie sich auch nur im Entferntesten hätte ausmalen können.
Unterdessen war es Mittag geworden. Vor der Station von Butterfield Overland Mail stand bereits eine große, hohe Kutsche bereit. Sechs große braune Rösser waren vorgespannt und scharrten mit den Füßen. Die hinteren Holzräder der Kutsche mochten fast vier Fuß messen, die vorderen bestimmt auch noch drei Fuß. Die eigentliche Kabine indes war nicht viel grö ßer als die Kabinen europäischer Kutschen. Umso verwunderlicher war es, dass offenbar bereits sechs Passagiere auf die Abfahrt
warteten. Es waren ausnahmslos männliche Fahrgäste, und keiner von ihnen schien sehr erfreut zu sein, dass ihnen mit der Verzögerung der Abfahrt nun auch noch zwei Damen in die Reisegruppe geschneit waren, zumal viele von ihnen offenbar über reichlich Gepäck verfügten, das auf dem Dach der Kutsche festgeschnürt war. Einer nach dem anderen nickte Betty zu.
Für den Tee war glücklicherweise ein zweiter, leichterer Wagen vorgesehen, dessen Dachkonstruktion aus gebogenen Holzstangen bestand, zwischen denen ein Verdeck aus Segeltuch gespannt war. Ein halbes Dutzend chinesischer Arbeiter, die an der Station gewartet hatten, verstauten eilig den Tee und verschnürten die Plane des Wagens. Auch dieser Wagen sollte offenbar sechsspännig gefahren werden. Ein Helfer schirrte eben mit fliegenden Bewegungen sechs kleine Westernpferde ein.
Lisis Mann schien ebenfalls keine Zeit verlieren zu wollen. Als der Kutscher im Laufschritt herbeigeeilt kam, nickte er Betty und Sikki kurz zu und entfernte sich eilig.
»Guten Tag«, sagte Betty und lächelte den Kutscher freundlich an, einen kleinen blonden Mann mit fusseligem Haar und vernarbtem Gesicht, der seltsamerweise eine Art Frack trug. Er verbeugte sich etwas zu tief, wie Betty fand, zog mit Schwung seinen Hut und reichte ihr galant die Hand, um ihr die hohe, ausklappbare Eisenstufe hinauf bis in den Wagen zu helfen. Dann reichte er Sikki die Hand, die diese hochmütig lächelnd ergriff.
Betty wäre am liebsten auf der anderen Seite der Kutsche sofort wieder ausgestiegen. Wie es aussah, befand sich deswegen dort auch eine weitere Tür. In der Kutsche hing ein schier unerträglicher Mief. Die offenen Fensterhöhlen, drei an
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