Die Teeprinzessin
jeder Seite, waren mit schwarzen Kernlederstücken verhängt, die
man zwar anheben konnte, um hinauszusehen, die aber danach sofort wieder zurückklappten. Im Inneren der Kutsche war es dunkel, und es roch muffiger als auf allen Schiffen, die Betty jemals betreten hatte.
Hinzu kam die Enge. Wenn Betty es richtig sah, war in der kaum viereinhalb Fuß langen und ebenso breiten und hohen Kabine Platz für neun Reisende, die offenbar jeweils in Dreierreihen sitzen sollten. Drei von ihnen mussten mit dem Rücken zu den Pferden Platz nehmen, die anderen beiden Reihen hätten immerhin in Fahrtrichtung geblickt - wenn man denn etwas hätte sehen können. Alle Sitze waren zwar mit Leder bezogen, aber komfortabel sahen sie nicht aus.
Am unbequemsten aber schien der Platz im Zentrum der Kutsche zu sein, denn er hatte nicht einmal eine Rückenlehne, sondern an deren Stelle nur ein schmales Lederband. Betty wählte den Sitz direkt daneben, weil sie hoffte, dass niemand sich in die Mitte setzen würde. Sikki nahm den Platz auf der anderen Seite des Mittelplatzes ein. Dann enterten die übrigen Passagiere unter großem Geächze und Gestöhne die Kutsche.
Gegenüber von Betty setzte sich ein korpulenter Mann in gelb gestreiften Beinkleidern und grünem Gehrock, der entweder seinen Zylinder abnehmen oder den Kopf einziehen musste, um sich überhaupt niederlassen zu können, und der sich für Ersteres entschied. Er nickt ihr freundlich zu und stellte sich als Mister Teufel aus St. Louis vor. Dabei wischte er sich mit einem riesigen Taschentuch über die Stirn, während er gleichzeitig versuchte, seine runden Knie noch enger an seinen dicken Leib zu ziehen. Betty wich instinktiv zurück, spürte in ihrem Rücken jedoch bereits die spitzen Kniescheiben eines knochigen, großgewachsenen Herrn in Schwarz, der sich ohne Unterlass die Nase schnaubte. Auch Sikki schien sich immer weiter in ihren Sitz zu drücken, denn als ihr Gegenüber hatte
ein fülliger Priester Platz genommen, dessen Gewand sich so voluminös aufbauschte, als habe er darunter einen Teil seines Gepäcks versteckt. Zwischen die beiden Herren quetschte sich ein betagter Herr, der sofort einnickte.
Schon setzte die Kutsche sich in Bewegung, als ein weiterer Passagier auftauchte, ein blonder, sehr junger Mann mit ei nem gerade geschnittenen, dicken Schnauzbart, den man ihm aufgrund seines Alters gar nicht zugetraut hatte. Betty starrte ihn an. War der Jüngling verkleidet? Hatte er den Bart etwa aufgeklebt? Oder konnte sie ihn im Schummerlicht der Kutsche nur nicht gut erkennen? Er spürte wohl ihren Blick und nickte ihr zu. »Gestatten, mein Name ist Ambrose, der Nachname tut ja wohl nichts zur Sache!« Der junge Mann setzte sich vorsichtig auf den Mittelsitz.
»Oh, der Nachname tut ja wohl nichts zur Sache , ein Ausreißer also. Weiß das Ihre Mutter, dass Sie hier bei uns in der Kutsche sind, mein Junge?«, lachte Mister Teufel und seine dicken Bäckchen wackelten lustig.
Der Junge namens Ambrose schüttelte den Kopf. Dann griff er umständlich in die Tasche seiner Tweedjoppe, fingerte ein kleines schwarzes Buch und einen kleinen Crayon hervor und machte sich eine Notiz.
Sekunden darauf setzte sich die Kutsche in Bewegung. Zuerst dachte Betty, dass jemand sie vor- und zurückruckte, doch dann merkte sie, dass das eigentümliche Schaukeln, in das sie nun verfiel, die Art war, wie sich diese Droschken bewegten. So ähnlich musste sich ein Baby fühlen, wenn es in einer Wiege heftig hin und her geschaukelt wurde.
Mister Teufel grinste und zeigte seine beiden verfaulten Vorderzähne. »Amerikanische Wertarbeit! Diese Kutschen haben keine Stahlfedern, sie sind auf achtfach geflochtenen Lederbändern aus bestem amerikanischem Rindsleder gelagert. Wir
werden uns auf der Fahrt fühlen wie die Säuglinge, haha! Falls wir sie überleben!« Er lachte schallend und fuhr sich schon wieder mit dem Taschentuch über die Stirn. Betty erfuhr, dass Mister Teufel in der Transportbranche war. Seine Brüder besaßen sogar eine eigene kleine Postlinie, die zwei Orte in Neuengland verband. Nun aber, da dort die Postkutschen fast überall durch die neuen Eisenbahnlinien abgelöst worden waren, würde seine Firma sich weiter nach Westen begeben. Hier nämlich sei das Gelände viel zu unwegsam für den Eisenbahnbau. Selbst mithilfe chinesischer Arbeiter kämen sie niemals durch die Rocky Mountains! Hier, im Westen, läge die Zukunft in einem ausgeklügelten System von
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